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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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seltsam geformt wie der im Schweinerüssel. So daß diejenigen, die ihn entdeckten, sich fragen mußten, wo sie diesen Unbekannten im gewaltigen Puzzle der Natur unterbringen sollten. Auf dem Kopf eines Tieres? Vielleicht hatten sie ihn geheiligt wie den Zahn des Narwals, den man dem Einhorn an die Stirn gesteckt hatte. Der, der ihn dem Kater Narziß herausgerissen hatte, war zweifellos ein Fachmann, vielleicht sammelte er so was, wie andere Leute Muscheln sammeln. Und wozu? Und wieso sammelte man Muscheln? Wegen ihrer Schönheit? Wegen ihrer Seltenheit? Als Glücksbringer? Getreu der Lehre, die Adamsberg seinem Sohn erteilt hatte, holte er sein Mobiltelefon hervor und rief Danglard an.
    »Capitaine, wie sieht der Knochen im Katerpimmel aus? Ist er wohlgeformt? Ist er schön?«
    »Nicht sonderlich. Er ist nur bizarr, wie alle Penisknochen.«
    Alle Penisknochen? wiederholte Adamsberg in Gedanken; die Vorstellung, daß auch die männliche Anatomie derart an ihm vorbeigegangen war, irritierte ihn. Adamsberg hörte, wie Danglard auf seiner Tastatur herumtippte, wahrscheinlich schrieb er gerade den Bericht über ihre Expedition nach Opportune, es war nicht der geeignete Moment, ihn zu stören.
    »Verflucht«, sagte Danglard, »wir werden doch wohl nicht ein Leben lang über diesen verdammten Kater reden, oder? Selbst wenn er Narziß hieß?«
    »Noch ein paar Minuten. Dieses Ding geht mir auf die Nerven.«
    »Nun, die Kater nervt es nicht. Es erleichtert ihnen sogar das Leben.«
    »Das ist nicht meine Frage. Warum sagen Sie ›wie alle Penisknochen‹?«
    Resigniert wandte Danglard sich von seinem Bildschirm ab. Er hörte die Möwen durchs Telefon schreien, er wußte also genau, wo der Kommissar sich herumtrieb und in welcher Verfassung er war, nämlich aufgewühlter als die Luft überm Fluß.
    »Wie alle Penisknochen bei sämtlichen Fleischfressern«, erklärte er, wobei er jedes Wort überdeutlich aussprach, wie man einem schlechten Schüler eine Lektion erteilt.
    »Alle Fleischfresser besitzen einen«, fügte er an, damit sein Unterrichtsstoff auch wirklich hängenblieb. »Die Flossenfüßer, die Großkatzen, die Schleichkatzen, die Marderartigen und so weiter und so fort.«
    »Nein, Danglard, ich kann Ihnen nicht mehr folgen.«
    »Alle Fleischfresser. Walrosse, Ginsterkatzen, Dachse, Steinmarder, Bären, Löwen und so weiter.«
    »Aber wieso weiß man nichts davon?« fragte Adamsberg, beinahe entsetzt über seine eigene Unwissenheit. »Und wieso die Fleischfresser?«
    »So ist es nun mal, so ist die Natur. Und die Natur ist gerecht, sie hilft den Fleischfressern. Sie sind selten, und sie müssen sich mächtig abrackern, um sich fortzupflanzen und zu überleben.«
    »Wieso ist dieser Knochen bizarr?«
    »Weil es ein Einzelknochen ist, der keiner Symmetrie folgt, weder einer bilateralen noch einer axialen. Er ist spiralförmig, ein wenig geschwungen, hat weder oben noch unten ein Gelenk und trägt eine Ausbuchtung an seinem distalen Ende.«
    »Das heißt?«
    »Das heißt an seinem äußersten Ende.«
    »Würden Sie sagen, bizarr wie der Knochen im Schweinerüssel?«
    »Wenn Sie so wollen. Im menschlichen Körper kommt etwas Vergleichbares nicht vor, deshalb hat die Entdeckung eines Penisknochen beim Bären oder Walroß die Menschen im Mittelalter auch jedesmal in Ratlosigkeit gestürzt. Genau wie Sie.«
    »Wieso beim Bären oder Walroß?«
    »Weil er groß ist und man ihn folglich leichter findet. Zum Beispiel im Wald oder am Strand. Aber den Penisknochen eines Katers kann man kaum identifizieren. Das Tier wird nicht gegessen, sein Skelett ist darum nur schlecht bekannt.«
    »Aber Schwein wird gegessen. Und den Knochen im Rüssel kennt man auch nicht.«
    »Weil er von Knorpelmasse umgeben ist.«
    »Glauben Sie, Capitaine, daß der Kerl, der Narziß’ Penisknochen geklaut hat, so was sammelte?«
    »Keine Ahnung.«
    »Ich formuliere es anders: Glauben Sie, daß dieser Knochen für manche Leute einen Wert haben könnte?«
    Danglard äußerte ein zweifelndes Brummen, vielleicht auch ein müdes.
    »Wie alles Seltene oder Rätselhafte könnte es einen Wert haben. Es gibt ja auch Menschen, die Kieselsteine aus Flüssen auflesen. Oder Geweihe von Hirschköpfen abschlagen. Wir sind nie sehr weit vom Obskurantismus entfernt. Das ist unsere Größe und unsere Katastrophe.«
    »Gefällt Ihnen Ihr Kiesel nicht, Capitaine?«
    »Was mir daran nicht paßt, ist, daß Sie einen mit einem schwarzen Streifen ausgesucht haben.«
    »Wegen

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