Die dritte Sünde (German Edition)
dem Diener ein offenes und ungewöhnlich freundliches Lächeln, das Isobels vage Vermutung bestätigte. Lord Farnham war offenbar längst nicht die einzige Quelle der lustvollen Vergnügungen von Jemina Craven. »Sage ihm, wir werden ihn sofort aufsuchen.«
»Sehr wohl, Mylady!«, erwiderte Charles formvollendet, wie es von ihm erwartet wurde. Isobel überlegte sich, ob er wohl im Bett von Lady Craven auch so höflich war. Dann verließ der hübsche Bedienstete den Raum, um die Nachricht weiterzugeben.
»Was Vater hier wohl will? Wahrscheinlich hat ihn Havisham unter Druck gesetzt und verlangt eine Entscheidung«, mutmaßte Isobel. Sie hatte ihm schriftlich unmissverständlich mitgeteilt, dass sie die restlichen Tage bis zu den Krönungsfeierlichkeiten bei Lady Craven zu verbringen gedachte. Eine Rückkehr in das Tollhaus der Branfords schien ihr völlig indiskutabel. »Nun, ich denke, ich habe mich entschieden«, sagte sie fest und stand auf.
»Das freut mich zu hören, mein Kind«, erwiderte Lady Craven. »Vielleicht gestattest du mir, ein wenig meinen Anteil an der Entscheidung, die sicher im Sinne Mr de Burghs ist, herauszustreichen. Vielleicht mildert das seine ablehnende Haltung mir gegenüber. Dann können wir uns auch öfter sehen. Wäre das nicht schön?«
»Ja, das wäre es wirklich«, stimmte Isobel zu, obwohl es etwas seltsam anmutete, dass Lady Craven augenscheinlich auch eigene Zwecke mit ihrem Beistand in Isobels Situation verband. Aber, so überlegte Isobel, vermutlich würde sie selbst ähnlich handeln.
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»Isobel!«, Mr de Burgh war erregt von seinem Platz aufgesprungen, als die beiden Damen in den Salon traten. »Es ist etwas Schreckliches geschehen! Wir müssen sofort nach Whitefell zurück.«
»Ich denke nicht daran!«, fauchte Isobel erbost. Sie hatte nun wirklich genug von den unangenehmen Überraschungen, die ihr Vater seit Neuestem offenbar auf Vorrat für sie bereithielt. Und wenn Whitefell abgebrannt war, sie würde auf alle Fälle in London bleiben! Mr de Burgh betrachtete seine Tochter irritiert. Ohnehin schien er völlig durcheinander zu sein.
»Mein lieber Mr de Burgh, so setzen Sie sich doch erst einmal! Soll ich Ihnen einen Tee oder besser etwas Stärkeres bringen lassen? Sie sind ja völlig außer sich!«, versuchte nun Lady Craven die Wogen zu glätten, während die Damen ebenfalls Platz nahmen.
Tatsächlich ging Mr de Burgh auf diesen Vorschlag ein und sank in einen Sessel. Bald war er mit Hochprozentigem versorgt und hielt sich krampfhaft an seinem Glas fest.
»Vater, ich habe dir meinerseits etwas mitzuteilen, bevor du mich mit weiteren Katastrophen belästigst«, hob Isobel in einem ausgesprochen schnippischen und respektlosen Ton an. Sie sah in ihrem Vater inzwischen kaum mehr etwas anderes als einen lächerlichen Narren, der durch seine unsinnigen Entscheidungen ihr Fortkommen gefährdete. Das konnte und wollte sie ihm nicht verzeihen. »Ich werde Mr Havisham das Jawort geben. Das kannst du ihm mitteilen.«
»Wirklich? Das freut mich zu hören, Isobel. Dann bist wenigstens du gut versorgt«, murmelte Mr de Burgh abwesend. Es schien ihn nicht sonderlich zu interessieren.
»Aber mein lieber Mr de Burgh! Ich denke, Sie sollten sich doch sehr über den Entschluss Ihrer Tochter freuen, zu dem ich ihr auch sehr geraten habe. Schließlich ist es eine Ehre, von einem so erfolgreichen und bedeutenden Mann wie Mr Havisham erwählt zu werden«, bemerkte Lady Craven.
Isobel verzog das Gesicht. Sie hätte gerne auf die Ehre verzichtet, aber ein jüngerer, adeliger und vor allem reicher Galan, der vielleicht zusätzlich noch ein gutes Aussehen aufzuweisen hatte, war leider in der Kürze der Zeit nicht aufzutreiben gewesen. Nun, dann nahm sie eben Havisham.
»Doch, doch! Bestimmt! Ich freue mich ja darüber.« Mr de Burgh fuhr sich müde mit der Hand über die Augen. Er wirkt um Jahre gealtert, stellte Isobel kühl fest.
»Also?«, fragte sie ungeduldig. »Was ist denn nun so Schreckliches geschehen, Vater?«
»Ich habe heute in den frühen Morgenstunden eine Nachricht durch einen Boten erhalten. Er überbrachte ein Schreiben von der East-India-Trading-Company, zusammen mit einer Nachricht von Mrs Branagh. Es handelt sich um Daniel.« Mr de Burgh schluckte krampfhaft. Offenbar war er den Tränen nahe. »Daniel ist tot.«
Isobel schwieg. Das war durchaus eine unerwartete Nachricht. Dennoch berührte es sie nicht sonderlich. Sie kannte ihren Halbbruder kaum mehr, hatte er
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