Die dritte Sünde (German Edition)
plötzlich mit einem neuen und mit vager Unsicherheit gepaarten Respekt. Sie würde sich in Acht nehmen müssen.
Fast hätte sie wegen ihrer Überlegungen die von Pfarrer Browning an sie gerichtete Frage nach ihrer Einwilligung in das Ehegelöbnis nicht mitbekommen. Ein ungeduldiges Räuspern seitens Havishams ließ sie erschreckt zusammenfahren. Sie hauchte, auf die Vermutung hin, dass dieses entscheidende Wörtchen nun angebracht war, ein irritiertes »Ja« und nahm dann wie von ferne wahr, dass er ihr einen Ring an den Finger steckte. Seine Hände waren kräftig und besitzergreifend. Und ehe sie es sich versah, hatte er ihr einen festen, salzig und feucht schmeckenden Kuss auf die trocken gewordenen Lippen gedrängt. Sie war nun offiziell vor Gott und den Menschen die rechtmäßige Mrs Havisham.
Der verhaltene und ausgesprochen spärliche, obligatorische Jubel der Anwesenden ließ sie wieder zur Besinnung kommen. Sie schüttelte leicht den Kopf. Diese Gedankengänge waren völlig absurd. Was war nur in sie gefahren? Ihre Nerven mussten überreizt sein. Selbstverständlich hatte Havisham einfach einen Narren an ihr gefressen und alles andere war eben als eine glückliche Fügung zu betrachten. So musste es sein! Sie reckte kämpferisch ihr Kinn, entschlossen, sich auch von Mr Havisham, so willensstark und einflussreich er auch sein mochte, nicht von ihren eigenen Plänen abhalten zu lassen.
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Die Hochzeitsgesellschaft war quälend langweilig. Die recht ergrauten Gäste unterhielten sich leise und wenig interessant. Man hatte auf das Wohl des Brautpaares angestoßen und die unsäglichen Reden derer, von denen man es traditionsgemäß erwartete, endlich glücklich hinter sich gebracht (Pfarrer Browning war nach einer weiteren ausladenden Rede nachdrücklichst zu einem Umtrunk genötigt worden, der seinen Redefluss gezwungenermaßen so abrupt unterbrach, dass er für die restliche Dauer des üppigen Banketts beleidigt schwieg). Isobel, die es schließlich enerviert aufgegeben hatte, sich – und sei es auch nur der Höflichkeit halber – in die Gespräche einzubringen, war gezwungen, weiter dem Gefasel der Alten zu lauschen. Dabei stellte sich auch heraus, dass sowohl die Tante als auch ihre Schwiegermutter Mrs Havisham bereits weit über die Zeit hinaus waren, in der man einen wachen und regen Verstand erwarten konnte. Isobel war angesichts dieser Umstände nun doch sehr froh, dass Havisham nach Whitefell übersiedeln wollte und sie nicht gezwungen war, ihre Tage mit der schwachsinnigen Alten in Havishams Stadthaus in Salisbury zu verbringen. Zumal ihr die Stadt, nachdem sie nun Londons Luft geatmet hatte, mehr als kleinbürgerlich und provinziell und ihrer nicht im Geringsten würdig vorkam.
Nichtsdestotrotz langweilte sie sich auf ihrer eigenen Hochzeitsfeier fast zu Tode. Ihr Vater starrte teilnahmslos vor sich hin und Havisham schien von der nutzlosen Zeitvergeudung auch bald genug zu haben, obwohl er wenigstens dem Mahl, für das sich Mrs Reed wirklich ins Zeug gelegt hatte, kräftig zusprach. Man hatte die Hochzeit auf den Nachmittag gelegt, ahnend, dass nicht allzu viel Feststimmung aufkommen würde, und so verabschiedeten sich die wenigen Gäste bald nach dem Dinner, da sie alle in der Umgebung wohnten und noch nach Hause fahren wollten. Havisham blieb natürlich in Whitefell. Er hatte schon in den Tagen zuvor etliches an Möbeln, Kleidung und Geschäftsunterlagen ins Herrenhaus transportieren lassen und man war übereingekommen, dass Mr de Burgh seine bisherigen Zimmerfluchten für das frischgebackene Ehepaar räumen würde. Er bewohnte bereits seit letzter Woche die deutlich kleineren Räume seines verstorbenen Sohnes. Eine nicht eben glückliche Wahl, wie Isobel – eher wenig interessiert an der Stimmung ihres Vaters – befand. Die Räume, die Daniel bewohnt hatte und die nach seinem Fortgang einfach so belassen worden waren, schienen die düstere Gemütslage ihres Vaters nur noch zu verstärken. Doch letztlich waren ihr die Empfindungen ihres Vaters mehr als gleichgültig, vielmehr begann jetzt ein weit wichtigerer Umstand ihre Aufmerksamkeit zu fordern.
Auf die Hochzeitsfeier folgte unausweichlich ihre Hochzeitsnacht und damit zweifellos die damit verbundene Entjungferung. Einmal mehr war sie froh darüber, bereits mit Aaron eine Erfahrung gemacht zu haben und nicht zuletzt durch Anschauung und Erklärung von Lady Craven bestens vorbereitet worden zu sein. Die Vorstellung, sich völlig
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