Die dritte Sünde (German Edition)
ungesund. Man musste sich bescheiden und Havisham war das zweifellos klar. Er saß am besseren Ende der Tafel und hatte das Recht, zu geben und zu nehmen, wie er wollte. Er hätte auch noch mehr kürzen können. Immerhin behielten alle ihre Arbeit. Was konnte man mehr fordern?
Nachdem dieser Punkt also ohne nennenswerten Widerstand verkündet worden war, wandte sich Havisham den anstehenden baulichen Veränderungen zu. Man plane, Whitefell in Teilen zu modernisieren. Besonders die Wohnräume, die er mit seiner Gattin bewohne, sollten in nächster Zeit renoviert werden. Die junge Herrin würde die Arbeiten überwachen. Dazu würden Fachleute und Handwerker aus London geholt werden, aber auch die Mithilfe der Gutsangestellten wurde erwartet, die Holz- und Malerarbeiten zu leisten sowie Transporte zu übernehmen hätten. Selbstverständlich würde erwartet, dass die normale Arbeit jedes Einzelnen weiterhin in vollem Umfange erledigt werde. Keiner würde über Gebühr belastet werden. Zwölf bis vierzehn Arbeitsstunden zusätzlich pro Woche wären schließlich zu schaffen und könnten wohl erwartet werden. Das überaus unwillige Murren, das sich auf diese Ankündigung hin erhob, ließ Mr Horace Havisham nicht im Geringsten unsicher werden. Er lächelte breit, hob beide Hände und wünschte allen einen guten Tag. Dann bot er seiner Gattin galant den Arm und geleitete sie vom Podest. Finley seufzte. Das bedeutete, dass etliche von ihnen ihre Arbeit auf den Feldern und in den Ställen bis spät am Abend zu leisten haben würden, um die zusätzlichen Stunden wieder hereinzubekommen. Wahrscheinlich aber würden die Kinder noch mehr anpacken müssen. Hoffentlich würden die Umbauarbeiten nicht allzu viele Wochen in Anspruch nehmen, denn Arbeit gab es schon jetzt wahrlich genug. Eines jedoch war unmissverständlich klar geworden: Es wehte ein neuer, rauer Wind auf Whitefell.
»Ach, mein Lieber«, Isobel lächelte gewinnend ihren Ehemann an, »ich würde mich gerne noch mit einigen der Leute unterhalten, die ich schon eine Weile nicht gesehen habe. Das verstehen Sie sicher!« Sie hatte sich nach wie vor und obwohl er sie bisher fast jede Nacht genommen hatte, noch nicht zu einer vertraulicheren Anrede durchringen können. Sie hatte Respekt vor ihm, manchmal sogar etwas Furcht. Er war ein außerordentlich entschlossener und auch gerissener Mann. Ihn zu etwas, das er nicht wollte, zu bewegen oder ihn gar zu hintergehen, würde schon etwas Mut und noch mehr Geschick erfordern. Kein Vergleich zu ihrem, wie sie nun inzwischen überdeutlich erkannt hatte, schwachen und auch dummen Vater. Trotzdem reizte sie der Gedanke. Sich für den Rest ihres Ehelebens auf die immer gleiche Weise, wie er es seit zwei Wochen praktizierte, besteigen zu lassen, stand jedenfalls keineswegs zur Debatte.
Havisham nickte wohlwollend. Er hatte wieder einmal erreicht, was er wollte. Die Einsparungen beim Personal, die übrigens keinesfalls so notwendig gewesen waren, wie er die Leute glauben gemacht hatte, würden ihm übers Jahr gesehen doch ein hübsches Sümmchen einbringen. Sollte sich Isobel ruhig mit dem einfachen Volk unterhalten. Derlei wurde vom weiblichen Teil der Herrschaft ohnehin erwartet und gerne gesehen.
»Ich werde mich dann in mein Büro zurückziehen, wir sehen uns nachher zum Tee, mein Täubchen.«
Isobel neigte den Kopf, ihren Widerwillen geschickt verbergend. Diesen albernen Kosenamen benutzte er nur, wenn andere zugegen waren. Privat verhielt er sich dagegen eher kühl ihr gegenüber, abgesehen von seinen ehelichen Forderungen. Einerlei, das interessierte sie jetzt nicht. Sie hatte die Thomsons in der Menge entdeckt und sah nun endlich die Gelegenheit, ihren vor der Hochzeit gefassten Plan in die Tat umzusetzen. Sie schüttelte freundlich einige Hände, fand hier und da ein lobendes Wort und bewegte sich zielsicher auf die kleine Familie zu. Cathy stand nicht bei ihnen, wohl aber in gemessenem Abstand und beobachtete Isobel aufmerksam. Das sollte sie ruhig. Es konnte nicht schaden, wenn sie sah, was vor sich ging. »Ah, Mr Thomson, ich hoffe, es geht Ihnen und Ihren Angehörigen gut!«, sagte Isobel hoheitsvoll. Der Mann mit dem harten und etwas misstrauischen Gesicht wusste offenbar nicht, wie er die unerwartete Aufmerksamkeit seiner jungen Herrin einzuschätzen hatte. Vorsichtig nickte er. »Danke der Nachfrage Ma’am! Wir sind soweit ganz zufrieden.«
»Tatsächlich? Das freut mich zu hören!« Isobel lächelte gewinnend.
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