Die dritte Sünde (German Edition)
tränenüberströmt und sich mit Selbstvorwürfen überhäufend an ihrem Bett kniete, auf dem sie leichenblass und schwächlich hustend mit dem Tode rang. Isobel lachte amüsiert auf, was ihr Pferd unvermittelt einen Satz machen ließ. Aber das störte sie nicht. Sie parierte gekonnt die unvorhergesehene Bewegung ihres Reittieres – Isobel war ohne Frage eine sehr gute Reiterin. Ihre Gedanken drängten weiter: Was würde sie geben für eine Gefährtin in ihrem Alter, mit der sie ihre Geheimnisse und Gedanken teilen konnte! Aber wo sollte die wohl herkommen? Das hässliche, schmutzige Mädchen, das sie vor einigen Wochen im Garten getroffen hatte, fiel ihr wieder einmal ein. Es hatte Isobel Spaß gemacht, sich eine Weile mit ihr abzugeben. Sie war nicht tumb erschienen wie die meisten anderen Kinder der Angestellten auf Whitefell, die vor Ehrfurcht erstarrten und kein Wort herausbrachten, sobald sie sich ihnen zuwendete. Sicher, anfangs hatte Cathy, das war ja ihr Name, wie Isobel sich zu erinnern glaubte, ähnlich reagiert, aber dann hatte sie sich im Spiel als erstaunlich wandlungsfähig erwiesen. Das hatte Isobel durchaus gefallen. Ob sie das Mädchen vielleicht einmal besuchen sollte?
Miss Hunter hatte zwar einen ziemlichen Aufruhr wegen Cathy gemacht und sich bitter über Isobel und auch das Landarbeiterkind bei Isobels Vater beschwert, war aber zu Isobels außerordentlicher Befriedigung einmal mehr auf taube Ohren gestoßen. Ihr Vater hatte das besondere Talent, manchmal im richtigen Moment starrsinnig zu sein. Zudem hatte er Isobel im Zuge der unerquicklichen Unterredung mit Miss Hunter ausdrücklich erlaubt zu spielen, mit wem immer sie es wünschte. Dies war ein weiterer Spatenstich, der Miss Hunter dem frühen Grabe näher brachte, wie Isobel inständig hoffte – ein Plan, den es weiter zu verfolgen galt. Die Gouvernante würde sicher früher oder später einen nervösen Zusammenbruch erleiden, wenn ihr Schützling ein ärmliches Landarbeiterkind zu seinem festen Spielgefährten erkor. Getrieben von diesem verlockenden Gedanken wendete Isobel ihr Pferd und ritt in Richtung der Unterkunft des Feldpflegers. Vielleicht hatte sie Glück und würde das Mädchen dort antreffen.
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»Cathy?« Die helle, befehlsgewohnte Stimme Isobel de Burghs schallte über das kümmerliche Anwesen, das sie nach einem scharfen Ritt und mit leichtem Schaudern als den Wohnsitz der Familie Thomson erkannt hatte. Dass Leute so wohnen konnten! Kein Wunder, dass Cathy so furchtbar verdreckt und verwahrlost gewesen war. Sie würde es keine Stunde in so einem Loch aushalten, und das gedachte sie auch nicht zu tun. Am besten sollte Cathy sofort wieder mit ihr kommen!
Da öffnete sich vorsichtig der niedrige Holzverschlag, der als Eingangstür des Wohnhauses diente, und ihre Spielgefährtin trat heraus. Hinter ihr drängten sich zwei weitere schmutzige Kinder, ein unscheinbares, dürres Mädchen mit strohigem, dunklem Haar und ein kleiner Rotschopf, der seinen Arm in einer überraschend sauberen Schlinge trug. »Miss de Burgh …«, sagte Cathy zaghaft, als sie herangekommen war. Der Rotschopf, der sich an Cathys Hüfte drängte, starrte die beeindruckende Erscheinung Isobels mit dem üblichen dümmlichen Staunen an, das sie auch von den anderen Kindern auf den Ländereien Whitefells kannte.
»Ich … äh, ich freue mich, Sie zu sehen, äh … Lady de Burgh«, Cathy kramte verzweifelt in ihrem Gedächtnis nach der richtigen Anrede. Es lag ihr sehr viel daran, die Tochter des Herrn von Whitefell nicht zu verärgern. Alles andere konnte unabsehbare Folgen haben. Was wollte sie nur hier? Hoffentlich sollte sie nicht wieder mit ihr mitkommen. Sie durfte doch Billie nicht allein lassen. Isobel lächelte huldvoll. Offensichtlich hatte Cathy den richtigen Ton getroffen.
»Ich hatte Lust, dir einen Besuch abzustatten. Es würde mir gefallen, wieder einmal etwas Zeit mit dir zu verbringen.«
Cathy stockte der Atem. Hatte Isobel denn keinen Ärger bekommen nach dem fatalen Besuch auf Whitefell? Wahrscheinlich wusste sie gar nichts von den schlimmen Ereignissen, die ihrer unerlaubten Begegnung gefolgt waren. »Ich … ich denke nicht, dass ich noch einmal nach Whitefell kommen darf. Miss Hunter hat es verboten und …«, sie blickte sich ängstlich um, wie in Erwartung eines neuen Schlages von wo auch immer, »ich darf meine Geschwister nicht allein lassen. Mein Vater war sehr …«, sie schluckte krampfhaft, als ihr das wutverzerrte Gesicht
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