Die dritte Sünde (German Edition)
sich mit der Serviette über den Mund und stand zügig auf. »Ich habe vor meiner Abreise noch einiges an Korrespondenz zu erledigen«, teilte er mit, »ich hoffe, meine Anwesenheit beim Frühstück ist entbehrlich.« Er wandte sich, ohne eine Antwort abzuwarten, an seinen Verwalter: »Ich denke, es gibt keine anstehenden Fragen die nächste Woche, bei denen eine Entscheidung von mir vonnöten wäre. Sollte dies jedoch der Fall sein, lege ich die Entscheidungsbefugnis in Ihre Hände, soweit es einen angemessenen Rahmen nicht übersteigt, Mr Gruber.« Dieser erhob sich und verbeugte sich knapp vor seinem Arbeitgeber. »Selbstverständlich, Mr Havisham. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise.« Havisham nickte ebenfalls, bedachte seine Gattin noch mit einem kaum angedeuteten Kuss auf die Wange und begab sich auf den Weg in sein Arbeitszimmer. Gruber und die junge Herrin blieben allein zurück.
»Ich werde vermutlich nicht zum Lunch hier sein«, beeilte sich nun auch Gruber mitzuteilen. »Ich wollte heute mit Finley noch die Sägemühle besichtigen und die Holzvorräte inspizieren. Das wird wohl den Rest des Tages in Anspruch nehmen.«
Isobel Havisham nickte abwesend. Sie schien völlig eingenommen von eigenen Überlegungen.
»Wir werden uns dann zum Dinner sehen?«, fragte Gruber höflich.
»Wie? … Ja, sicher, Mr Gruber! Sie entschuldigen mich bitte!«, antwortete Mrs Havisham, sichtlich irritiert darüber, noch einmal von ihm angesprochen worden zu sein, nickte ihm dann mit einem oberflächlichen Lächeln zu und verließ beschwingten Schrittes den Speiseraum. Gruber zuckte mit den Schultern und ließ sich nun endlich sein Frühstück schmecken. Schließlich hatte er einen anstrengenden Tag vor sich.
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Es war am späteren Vormittag, als Gruber die Stallungen betrat, um sich von William einen der Apfelschimmel satteln zu lassen, den er als zuverlässiges und temperamentvolles Reitpferd für seine Erkundungsritte gerne nutzte. Finley würde bei der Mühle auf ihn warten. Leider hatte sich seine Tagesplanung noch etwas verzögert, da er von einem der Pächter Whitefells überraschend aufgesucht worden war. Der Mann hatte um Aufschub seiner Pachtzahlung gebeten, da ihm überraschend Vieh eingegangen war, was Gruber ihm, nach eingehender Prüfung des Zahlungsverhaltens des Mannes in den letzten Jahren, auch schließlich gewährt hatte. Da er die Zahlungsmoral der Pächter bisher noch nicht einschätzen konnte und auch sein Herr über keinerlei Erfahrungswerte darüber verfügte, war dieses etwas umständliche Verfahren in solchen Fragen notwendig, wenn auch lästig. Gruber zog schaudernd die Schultern hoch. Das Wetter hatte sich nicht verbessert. Immer noch fiel ein kalter und ungemütlicher Nieselregen vom grau verhangenen Himmel. Mr Havisham hatte unter diesen Umständen selbstverständlich die geschlossene Kutsche für seine Reise nach Trowbridge bevorzugt. Dennoch würde die Fahrt beim aufgeweichten Zustand der Kutschwege vermutlich kein Vergnügen werden. Immerhin waren es fast fünfunddreißig Meilen von Whitefell nach Trowbridge. Umso erstaunter war der Verwalter allerdings, als er in den Stall trat und Mrs Havisham in Stiefeln und Reitkleidung dort antraf, offensichtlich gerade im Begriff, auf ihrem bevorzugten Schimmel einen Ausritt zu unternehmen.
»Madam«, fragte Gruber überrascht, »Sie wollen bei diesem Wetter ausreiten? Ich hatte angenommen, Sie wollten sich, wie Sie es gegenüber Mr Havisham heute Morgen erwähnten, der Einweisung Ihrer neuen Zofe widmen.«
Isobel Havisham zog eine unwillige Schnute. Es war nicht zu übersehen, dass ihr die Begegnung mit ihrem Verwalter mehr als unrecht war. »Ich glaube nicht, dass meine Entscheidungen bezüglich meiner Tagespläne eines Kommentars Ihrerseits bedürfen, Mr Gruber«, sagte sie schnippisch. »Aber wenn Sie es genau wissen wollen, so hat mein Gatte mir ausdrücklich ans Herz gelegt, regelmäßig auszureiten. Ein Vergnügen, dem ich mich in letzter Zeit zu wenig widmen konnte. Außerdem möchte ich meine ehemalige Zofe einmal besuchen und sehen, wie es ihr inzwischen ergangen ist.«
Gruber fand das doch etwas eigenartig. Kaum, dass Mr Havisham das Gut verließ, hatte seine Gattin offenbar nichts Besseres zu tun, als umgehend und trotz widrigster Wetterbedingungen zu einem Besuch auf der Pennywood Farm aufzubrechen. Erneut stieg Misstrauen in ihm auf. Aber er hütete sich selbstverständlich, die Pläne seiner Herrin weiter zu kommentieren. Ohne
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