Die dritte Sünde (German Edition)
nachdem er noch am Abend zurückgekehrt war, umso mehr entschlossen, seinen Willen zu behaupten und seine Gattin auf seine nächste Geschäftsreise, bei der er auch noch mal in Salisbury vorbeischauen wollte, mitzunehmen. Mr Gruber konnte es ihm nicht verdenken. Schließlich gab es für die junge unwillige Ehefrau keine vernünftige Begründung, mit der sie sich dem Wunsch ihres Gatten verweigern konnte. Die Sorge um das Gut konnte sie jedenfalls, spätestens seit er in vollem Umfang den Dienst angetreten hatte, nicht anführen. So hatte sie sich schließlich fügen müssen und ihren Gatten zunächst nach Salisbury und später nach Portsmouth begleitet, wobei Mr Gruber vollkommen klar war, dass es seinem Herrn dabei eher um die Frage der Disziplinierung seiner ungebärdigen Frau ging, als dass er auf ihre Anwesenheit Wert gelegt hätte. Liebe oder eine wie auch immer geartete Zuneigung schienen die beiden füreinander jedenfalls nicht zu empfinden. Das würde er aber bei einer Ehe in diesen gehobenen gesellschaftlichen Kreisen auch nicht wirklich erwartet haben. Dass solche Ehen häufig nur aus wirtschaftlichem Kalkül geschlossen wurden, war eben eine Tatsache. Gruber kaute weiter unbehaglich an seinem Toast. Das Geräusch, das das Mahlen seiner Kiefer dabei verursachte, durchbrach vernehmlich die quälende Stille. Die Herrschaften waren erst vor drei Tagen zurückgekehrt, aber seitdem herrschte ein Klima im Hause Havisham, das nur noch durch die unfreundliche nasskalte Witterung, die seit Novemberbeginn herrschte, übertroffen wurde. Der Winter hatte dieses Jahr wirklich sehr früh eingesetzt. Das hielt den Verwalter allerdings nicht davon ab, auch in Regen und Sturm seine immer noch andauernde Erkundung der weitläufigen Ländereien Whitefells fortzusetzen, die ihm für eine fachmännische Aufgabenerfüllung notwendig schien. Oft begleitete ihn dabei entweder Mr Finley, der Wildhüter, oder aber der Feldpfleger Mr Thomson, dem Gruber seit jenem unerfreulichen Zwischenfall beim Gesindefest mit gewissem Misstrauen begegnete. Doch obwohl sich der Mann weiterhin unnahbar und wortkarg gab, war am Zustand der Felder und Landflächen, die er zu bewirtschaften hatte, wahrlich nichts auszusetzen. Alles war bestens gepflegt und für den Winter vorbereitet. So hatte Gruber keinen wirklichen Anlass, seine Vorbehalte gegenüber Wycliff Thomson zu vertiefen. Letztlich ging ihn der Vorfall auch nichts an. Hauptsache, der Mann erledigte seine Arbeit. Und das tat er jedenfalls gut!
Da trat Thomas in den kleinen Speisesalon, um seinem Herrn ein Schreiben auszuhändigen, das, wie er beflissen mitteilte, soeben von einem Boten überbracht worden war. In dem Bemühen seine Überraschung zu verbergen, nahm der Hausherr das versiegelte Schreiben entgegen. Es kam tatsächlich nicht oft vor, dass schon zu so früher Stunde ein Brief durch einen Boten überbracht wurde. Sicher handelte es sich um wichtige Nachrichten. Auch die junge Herrin war nun neugierig geworden und unterbrach endlich das unangenehme Schweigen: »Was ist das für ein Brief, Havisham? Etwas Wichtiges? Ist vielleicht etwas mit meinem Vater? Ich habe schon lange nichts mehr von ihm gehört. Möglicherweise ist er krank?«
Mr Havisham antwortete nicht sogleich, sondern überflog mit gerunzelter Stirn die in säuberlicher, energischer Handschrift verfassten Zeilen. »Nein, keine Sorge, meine Teuerste. Das Schreiben ist an mich gerichtet … von Mr Armindale. Du erinnerst dich sicher an ihn.« Mr Havisham räusperte sich vernehmlich, bevor er fortfuhr: »Das Schreiben ist geschäftlicher Natur. Nichts, was dich bekümmern müsste. Allerdings sollte ich nach dem Frühstück umgehend nach Trowbridge aufbrechen. Die Angelegenheiten werden wohl einige Tage in Anspruch nehmen. Ich denke, dass ich spätestens zu Ende der Woche zurück sein werde. Es tut mir leid, dass du mich diesmal nicht begleiten können wirst.«
Mr Gruber hatte beileibe nicht den Eindruck, dass Mrs Havisham über diesen Umstand allzu bekümmert war. Im Gegenteil, er meinte, in ihren Augen ein hoffnungsvolles Leuchten aufblitzen zu sehen.
»Oh, ich werde mich hier schon zu beschäftigen wissen. Schließlich muss ich auch noch meine neue Zofe einweisen. Du siehst also, dass ich genug zu tun habe«, antwortete die junge Hausherrin mit einem fast ungehörig zufriedenen Lächeln. Doch Mr Havisham nahm keine Notiz davon. Das Schreiben schien ihn sehr zu beschäftigen. Schließlich faltete er es zusammen, fuhr
Weitere Kostenlose Bücher