Die dritte Sünde (German Edition)
Die ganze Sache führte wohl zu einem Nervenzusammenbruch der Dame, die daraufhin längere Zeit in einer Anstalt verbrachte. Sehr zum Leidwesen des Vaters, wie man hört. Sie soll dann tatsächlich auch noch ein Verhältnis mit einem ihrer behandelnden Ärzte begonnen haben. Es war einige Zeit das Stadtgespräch, zumindest hat mir das meine sehr frömmelnde Zimmerwirtin berichtet.«
Havisham hob die Augenbrauen. »Mrs Wakefield scheint geradezu mannstoll zu sein, wie mir scheint. Allerdings ist das vielleicht auch durch ihre Erkrankung zu erklären. Ich glaube nicht, dass aus dieser Geschichte viel herauszuholen ist.«
Armindale nickte. »Da stimme ich Ihnen zu, Mr Havisham. Die Sache ruft wohl, trotz einer gewissen Pikanterie, doch eher Mitleid hervor, ist also für unsere Zwecke weniger zu gebrauchen. Wesentlich mehr Potenzial haben da allerdings die Gepflogenheiten von Mr Baker junior.«
»Tatsächlich?«, sagte Havisham. »Gemeinhin wird doch den Eskapaden junger Gentlemen weitgehend Verständnis gezollt. Außer sie machen sich krimineller Umtriebe schuldig.«
»Wie es der Zufall will, sind die tatsächlich recht anstößigen Unternehmungen des jungen Herrn auch von rechtlicher Brisanz, sollten sie sich als wahr erweisen«, bestätigte Armindale und lächelte geheimnisvoll. »Jedoch bräuchte ich Ihre Zustimmung, bevor ich nach London gehe und die Gerüchte auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfe. Sollten sie sich jedoch als zutreffend herausstellen, haben Sie allerdings ein perfektes Druckmittel in der Hand.«
Havisham beugte sich nach vorn. »Da bin ich jetzt aber wirklich gespannt.«
Armindale betrachtete eingehend das schimmernde Rot in seinem Glas. »Der nicht mehr ganz junge Mann ist zwar verheiratet, aber die Ehe scheint doch mehr ein fadenscheiniges Deckmäntelchen für seine wahren Neigungen zu sein. Ich hatte das Glück, auf einen gesprächigen Wirt in den weniger vornehmen Vierteln von Trowbridge zu treffen. Der hat mir berichtet, dass Rupert Baker sich schon von jeher eher zum männlichen Geschlecht hingezogen fühlte. Er soll wohl verschiedentlich dadurch aufgefallen sein, dass er sich heranwachsenden Knaben unter der Arbeiterschaft seines Vaters in eindeutiger Weise genähert haben soll. Natürlich wollte das niemand von den Arbeitern anzeigen oder gar bestätigen. Das können die sich in ihrer Lage gar nicht leisten und haben es wohl auch aus Respekt gegenüber dem hochgeschätzten Mr Baker senior nicht getan. Dieser hat seinen Sohn, wohl auch um die gefährlichen Gerüchte möglichst zum Verstummen zu bringen, so schnell wie möglich mit einer verarmten Verwandten verheiratet. Ein unscheinbares Mauerblümchen, das seit längerer Zeit im Hause der Bakers lebt und ihrem Schwiegervater nicht von der Seite weicht. Sie begleitet ihn seit dem Tod von Mrs Baker sogar nach London, wo er sich die meiste Zeit des Jahres aufhält – seiner parlamentarischen Verpflichtungen wegen. Ihr wenig interessierter Ehemann, der sich zudem auch nicht für das Unternehmen zu interessieren scheint, ging ebenfalls bald nach London und es ist schon zu vermuten, dass er dort seine widernatürlichen Neigungen weiter auslebt. Ich sollte mich dort auf alle Fälle genauer umhören. Wie Sie wissen, steht die Sodomie [31] strengstens unter Strafe und es wäre ein enormer Skandal, sollte ein Mitglied des Unterhauses auch nur annähernd damit in Verbindung gebracht werden. Mr Baker kann also keinesfalls ein Interesse daran haben, dass die Sache ruchbar oder sein Sohn gar angeklagt wird. Eine solche Anklage hätte für Mr Rupert Baker wohl im höchsten Maße unangenehme Folgen.«
Havisham fuhr sich mit der rechten Hand über das Kinn, während sich ein höchst zufriedenes Lächeln auf seinen Gesichtszügen ausbreitete. Das war ja besser, als er je zu hoffen gewagt hätte. Sollte sich diese Information tatsächlich als richtig und – was noch wichtiger war – auch als aktuell herausstellen, hatte er Baker völlig in der Hand. Eine Anklage seines Sohnes unter dem Vorwurf der Sodomie würde die Familie und auch die gesellschaftliche Stellung des Vaters vollkommen vernichten. »Mr Armindale, ich stelle fest, Sie haben recht gute Arbeit geleistet. Allerdings, so schätze ich es auch ein, ist es nun notwendig, dass Sie so schnell wie möglich nach London aufbrechen, um den Verdacht zu verifizieren. Aber wir wollen Mr Baker senior noch nicht gleich mit Kanonendonner erschrecken. Ich werde ihn morgen früh aufsuchen und ihm eine
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