Die dritte Sünde (German Edition)
Entsetzen der Erinnerung schüttelte ihn. Stumm stand Aaron dabei und lauschte Thomsons Beichte. Der zog geräuschvoll die Nase hoch und sah sein Gegenüber in hilfloser Verzweiflung an. Die Qual, die sich auf seinem Gesicht abzeichnete, war übermächtig.
Und Aaron verstand ihn. Eine jähe Angst erfasste ihn bei der Vorstellung, dass auch Cathy bei der Geburt ihrer Kinder – Kindern, die seinen Lenden entspringen würden – sterben könnte. Der Gedanke war unerträglich.
Da fuhr Thomson fort: »Was mir von ihr blieb, war der Junge. Er hat ihre Augen und ihr Haar, Stutter, verstehst du? Wenn ich ihn sehe, dann sehe ich sie, dann ist sie mir noch nahe.« Thomson schluckte schwer und kämpfte erneut mit den Tränen. »Nach ihrem Tod wusste ich nicht, was ich tun sollte. Ich war wie von Sinnen. Da war das Neugeborene, das ich nicht zu versorgen wusste, und dann die Sorge für das tägliche Brot. Wir hatten ohnehin nicht viel. Ich musste noch zusätzlich Arbeit suchen auf einem größeren Hof in der Nähe und da musste eben Cathy die Arbeit der Hausfrau und die Sorge für ihre Geschwister übernehmen.«
Aaron ging in die Hocke, damit er dem weinenden Mann in die Augen sehen konnte. »Aber Cathy war doch selbst noch ein Kind, Wycliff. Sie war erst acht Jahre alt. Ist es dir nie in den Sinn gekommen, dass du ihr zu viel aufgebürdet hast?«
Thomson sah ihn groß an. Ein Hauch von Verstehen schien sich still in ihm auszubreiten, ein Erkennen. »Aber sie hat es doch getan. Sie hat sich nie beklagt«, sagte er zögernd.
»Nein, das hat sie nicht. Sie hat sich nicht beklagt. Sie hat alles getan, was nötig war, was du von ihr erwartet hast, hat geschuftet von morgens bis abends und Billie die Mutter ersetzt, so gut sie es eben vermochte. Mehr als das! Doch sie war eben auch nur ein kleines Mädchen, das es nach ein wenig Freude in seinem Leben verlangte, so wie es jeden von uns danach verlangt. Deshalb ist sie an jenem Tag nach Whitefell gelaufen, nur um einen kurzen, heimlichen Blick auf Isobel de Burgh in deren Märchenreich zu werfen. Das war ihre ganze Schuld, Wycliff. Sie wollte sofort wieder umkehren und dann hat Isobel sie gesehen.«
»Aber sie hätte umkehren müssen!«, insistierte Thomson, doch seine Stimme zitterte merklich von der Unsicherheit, die ihn ergriffen hatte. Konnte es denn sein, dass er seiner Tochter all die Jahre Unrecht zugefügt hatte?
»Sie konnte nicht, Wycliff, das kannst du mir glauben! Sie hatte doch keine Chance gegen den Willen einer Isobel de Burgh. Isobel hat sie zu ihrem Spielzeug gemacht und Cathy konnte sich nicht dagegen wehren. Sie konnte sich nicht wehren, weil sie euch schützen wollte.« Aaron legte Thomson die Hand auf die Schulter und sah ihm fest in die Augen. Eindringlich sagte er: »Verstehst du es jetzt, Wycliff? Sie hatte einfach keine Wahl. Wenn sie Isobel widerstanden hätte, hätte diese euch fortjagen lassen. Ich kenne Isobel de Burgh, ich kenne sie nur zu gut, glaub’ mir! Sie ist eine rachsüchtige Teufelin. Das wirst du gleich selbst merken, wenn ich dir alles erklärt habe.«
Thomson öffnete den Mund in schierem Erstaunen. Er war nun offenbar endlich bereit, Aarons Worten Glauben zu schenken. Und Aaron begann und berichtete Wycliff dort im Schuppen, was sich zugetragen hatte. Er sprach von Cathys harten Jahren in Whitefell, von den Launen Isobels, die sie klaglos ertragen hatte, damit ihre Familie in Frieden leben konnte, von ihrer Hoffnung endlich freizukommen, die jäh zunichtegemacht wurde von Isobels eigensüchtigen Plänen. Und er berichtete auch von seiner unwürdigen Verbindung zu der jetzigen Mrs Havisham, die gierig ihre Hände nach ihm ausgestreckt hatte und dabei nicht einmal davor zurückgeschreckt war, Cathy in ihrer Wut fast totzuschlagen.
Es war ein langer Bericht und Wycliff schüttelte ein ums andere Mal ungläubig den Kopf, aber er hörte Aaron willig zu, ohne ihn zu unterbrechen. Da wusste Aaron, dass sie gemeinsam einen Weg finden würden, Isobels hartes Joch abzuwerfen. Dass tatsächlich alles gut werden konnte.
Endlich meinte Wycliff nachdenklich: »Ich war auch erstaunt, dass die Herrin sich plötzlich unserem Billie zuwandte und ihn fast täglich zu sich kommen ließ. Sie hat ihn mit unsinnigen Laufarbeiten beschäftigt, ihm zwei Mal sogar einen Schilling zugesteckt, aber dann hat sie ebenso plötzlich das Interesse an ihm verloren. Das hat dem Jungen fast das Herz gebrochen. Er betet die Herrin an, spricht von morgens bis abends
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