Die dritte Sünde (German Edition)
von dort ein leises Scharren und Schieben. Offenbar hatte er dort ein Versteck angelegt. Schließlich kam er mit einem kleinen, mit einem edlen Spitzentaschentuch umwickelten Päckchen in der Faust wieder unter dem Bett hervorgekrochen und legte dieses zögernd in die ausgestreckte Hand seines Vaters. Aaron trat hinzu. Die beiden Männer wechselten einen angespannten Blick. Was würde sich in dem Bündel finden?
»Oh, mein Gott!«, japste Wycliff, aschfahl im Gesicht, als sie die filigran gearbeitete Silberbrosche erblickten. Eine große, reinweiße Perle prangte in ihrer Mitte. Dieses Schmuckstück hatte ohne Zweifel einen beträchtlichen Wert. Wenn Billie deshalb des Diebstahls bezichtigt werden würde, war es nur zu wahrscheinlich, dass er nicht nur auf einem Deportationsschiff, was ohnehin einem Todesurteil gleichkam, sondern gleich am Galgen landete. Die englische Rechtsprechung nahm auf Jugend keine Rücksicht. Ein unterdrückter Fluch entwich Wycliffs bebenden Lippen und er setzte sich erschüttert an den groben Holztisch. »Du hattest recht, Aaron! Dies Weib ist eine wahre Teufelin. Wie kann sie den Jungen so benutzen? Was haben wir ihr getan?«
»Nichts!«, antwortete Aaron bitter. »Genauso wenig, wie Cathy jemals etwas getan hat. Isobel Havisham benutzt Menschen, wie es ihr beliebt, und sie tut, was ihr gefällt. Zumindest glaubt sie, das tun zu dürfen. Deshalb muss dieses verfluchte Ding schnellstens zurückgegeben werden. Vielleicht merkt sie dann endlich, dass auch ihre Macht begrenzt ist.«
»Aber wenn wir es zurückgeben, wird es Fragen geben. Sie wird Billie trotz allem beschuldigen, die Brosche gestohlen zu haben. Und sei es deshalb, um ihren Anteil dabei zu verbergen«, wandte Wycliff zutiefst besorgt ein.
»Das ist allerdings wahr!« Aaron biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. Doch dann hatte er die rettende Idee: »Sie ist gestern und vorgestern bei uns gewesen. Ich nehme an, dass selbst ihr Gatte und auch jeder auf Whitefell das weiß. Sie musste es ja nicht verbergen. Ich werde einfach behaupten, ich hätte die Brosche heute bei der Farm gefunden. Was kann sie dagegen einwenden? Dann müsste sie ja zugeben, dass sie das Schmuckstück Billie ausgehändigt hat. Das wird sie keinesfalls tun. Und weder Billie noch eure Familie werden damit in Verbindung gebracht.« Aarons Züge wurden plötzlich hart. »Und sie wird wissen, dass ihre Pläne und Intrigen zunichtegemacht sind. Oh, ich freue mich schon auf ihr Gesicht, wenn sie das erkennen muss!«
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Aaron ließ den Arbeitswagen, mit dem er und Wycliff zurückgefahren waren, auf dem Hof der Pennywood Farm halten. Sein Schwiegervater hatte nicht viel gesprochen auf der Fahrt, offenbar zu aufgewühlt und beschämt, um die neu gewonnene Vertrautheit fortzusetzen und dennoch fest entschlossen, bei seiner Tochter Abbitte zu leisten für das, was er ihr angetan hatte. Vielleicht hatte Cathy doch nicht so unrecht gehabt, überlegte Aaron. Wycliff Thomson war tatsächlich kein schlechter Mensch, nur verbittert und blind für die Nöte seiner Kinder, zumindest die seiner ältesten Tochter. Und er hatte Cathy – das hatte Wycliff auf der langen Fahrt mehr zu sich selbst als zu seinem Schwiegersohn gesagt – die ganzen Jahre zum Sündenbock für seine eigene Schuld gemacht. Vielleicht deshalb, weil er selbst sonst die Kraft zum Weiterleben endgültig verloren hätte. Ruhig wandte Aaron seinem Schwiegervater den Blick zu, der nun doch zaudernd und unsicher auf dem Kutschbock neben ihm saß.
Da öffnete sich die Tür des Wohnhauses und Cathy trat zögernd heraus. Angespannt sah sie ihnen entgegen. Aaron überlegte kurz, ob er zu ihr gehen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Dieser Moment gehörte Wycliff Thomson und seiner ältesten Tochter. Wycliff atmete noch einmal tief durch und kletterte schließlich schwerfällig vom Kutschbock des Pritschenwagens. Dann drehte er sich langsam zu seiner Tochter um.
Stille trat ein, keiner von beiden sagte etwas. Was hätten Worte auch vermocht, angesichts der Jahre des Schmerzes, die zwischen ihnen lagen? Und plötzlich breitete Wycliff einfach seine Arme aus. Cathy schluchzte laut auf – es klang fast wie ein Schrei –, rannte auf ihn zu und warf sich weinend an seine Brust. Und Wycliff hielt sie fest, ebenfalls tränenüberströmt, so wie ein Vater seine Tochter festhalten und behüten sollte.
Aaron sah ihnen schweigend zu. Er war nichts als ein stummer Beobachter, ein außerhalb stehender Zeuge
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