Die dritte Sünde (German Edition)
sie – wie man hörte – in den letzten Monaten mehrfach aufs Lager gezwungen hatte. Nicht nur Green hatte Havisham wiederholt dezent darauf aufmerksam gemacht, dass die Freundschaft seiner Frau mit Lady Craven letztlich auch den Ruf Havishams beschädigen konnte. Wieso nur hatte dieser zugelassen, dass diese Frau wieder auf die Abendgesellschaft eingeladen wurde? Green konnte sich kaum vorstellen, dass Isobel Havisham so viel Macht über ihren Mann besaß, obwohl der jungen Person durchaus ein ausgeprägter Wille, ja geradezu Eigensinn zu attestieren war. Es war zwar verständlich, dass das junge Ding ihr Vergnügen in London suchte, zumindest solange noch keine Mutterschaft in Sicht war, aber dass sie dies vorzugsweise ausgerechnet in Begleitung von Lady Craven tat, ließ diesen nachvollziehbaren Wunsch nach Zeitvertreib nicht gerade in vorteilhaftem Licht erscheinen. Außerdem schien es in der Ehe der Havishams ernsthafte Probleme zu geben. Green selbst war einmal unfreiwillig Zeuge eines Streits zwischen den Eheleuten geworden, der zumindest vonseiten der Ehefrau mit einer Heftigkeit ausgeführt worden war, die ihn doch erstaunt hatte. Am meisten hatte ihn dabei schockierte, dass Isobel Havisham offenbar keinerlei Scheu davor zu empfinden schien, sämtliche Anwesenden, einschließlich des Personals, zu Zuschauern dieses unerquicklichen Vorfalls werden zu lassen. Havisham, der damals den Streit dadurch beendet hatte, dass er seine Frau kurzerhand aus dem Zimmer beförderte, konnte einem fast leidtun. Isobel Havisham war zwar recht ansehnlich, verfügte aber über eine ausgesprochen scharfe respektlose Zunge, die Green bei seiner eigenen Frau keinesfalls geduldet hätte. Allerdings musste er zugeben, dass es nicht immer in der Hand des Ehemanns lag, eine widerspenstige Ehefrau zu disziplinieren. Auch die Hoffnung, durch die familiären Verbindungen Isobel Havishams den Earl of Branford oder gar seinen Schwiegersohn, den jungen Mr. Godfrey Fountley, für einen Übertritt zu den Whigs zu gewinnen, war zunächst gescheitert. Wie es sich herausgestellt hatte, gab es wohl gewisse Animositäten in der Familie. Angesichts des eigenwilligen Charakters von Mrs Havisham vielleicht auch nicht allzu verwunderlich.
Plötzlich bemerkte Green, dass einer der Lakaien auf sie zukam. Offenbar hatte er eine wichtige Nachricht zu überbringen. Der Bedienstete wandte sich leise an seinen Herrn: »Sir, vor der Tür wartet ein Gentleman, der seinen Namen nicht nennen will, Sie aber dringend zu sprechen wünscht. Er meint, es sei wichtig. Soll ich ihn wieder wegschicken oder möchten Sie ihn selbst in Augenschein nehmen?«
Havisham blickte verwundert auf, schien dann aber kurz zu überlegen. Offenbar hatte er einen Verdacht, um wen es sich bei dem geheimnisvollen Besucher handeln könnte. »Führe ihn in mein Arbeitszimmer, aber diskret. Benutze die hintere Treppe!«
»Sehr wohl, Sir!«Ohne eine sichtbare Regung seiner Miene zog sich der Domestik zurück.
»Kommen Sie, Green. Ich glaube, ich weiß, um wen es sich handelt. Das geht uns beide an.«
Isobel verzog ärgerlich das Gesicht zu einer Grimasse, als sie sah, wie Havisham gefolgt von Green den Raum verließ.
»Ich würde gar zu gern wissen, was die beiden wieder zu bereden haben«, meinte Lady Craven beiläufig, »offenbar scheint der Plan deines Gatten, Abgeordneter im Unterhaus zu werden, nicht so ganz gelingen zu wollen … oder sollte ich mich täuschen?«
Isobel sah ihre Freundin von der Seite an. »Du weißt, dass ich meinem Gemahl alles andere als zugetan bin, aber sei versichert, dass er in der Regel erreicht, was er sich vornimmt. Besonders, wenn es sich dabei um Fragen seiner Karriere handelt.«
»Oh, gewiss, Isobel! Das habe ich doch keinen Augenblick in Zweifel gezogen. Schließlich war das einer der wesentlichen Gründe, warum du ihn erwählt hast, nicht wahr?«
»Du hast mir ja auch sehr dazu geraten!«
»Allerdings, meine Liebe, und hatte ich nicht recht? Sieh dich um! Du hast ein schönes neues Haus in einer der besten Gegenden Londons, Dienerschaft, anregende Gesellschaften, genug Kleider, um mehrere Ankleidezimmer zu füllen und, was das Beste von allem ist, du hast deine Freiheit und kannst tun und lassen, was dir gefällt.«
Isobel verzog einmal mehr unwillig das Gesicht. »Das kann ich eben nicht! Havisham macht mir ständig Vorwürfe. Er möchte mich am liebsten ins Haus einsperren. Vor allem hat er etwas dagegen, dass ich deine Gesellschaft
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