Die dritte Sünde (German Edition)
Frau werden würde, wenn er Rupert Baker tatsächlich der Justiz auslieferte. Die Meute der Presseleute würde auch sie zerreißen wie Wölfe ein Reh. Die Vorstellung war ihm seltsamerweise unerträglich. Was war nur los mit ihm? Um Rupert Baker tat es ihm nicht leid. Der Mann war ein verkommenes Subjekt, der mit seinen widernatürlichen Neigungen auf keinerlei Milde hoffen durfte. Auch Baker hatte sich die Folgen seiner Sturheit schließlich selbst zuzuschreiben, aber jetzt empfand er Mitleid gegenüber dieser zarten, so ätherisch wirkenden Frau. Ein starkes Mitleid, das er selbst angesichts der Trauer von Francis de Burgh über den Verlust dessen Sohnes nicht annähernd empfunden hatte. Unsicher ließ er seinen Blick aus dem Fenster schweifen. Es fiel ihm plötzlich schwer, den eigentlichen Grund seines Besuches anzusprechen.
Meredith Baker war es, die die Dinge nach einem Moment lastenden Schweigens beim Namen nannte. »Mr Havisham, wie Ihnen sicher bewusst ist, bin ich durchaus über Ihre Unstimmigkeiten mit meinem Schwiegervater, was diese Kandidatur für den Wahlkreis Wiltshire betrifft, informiert. Sie dürfen mir glauben, dass ich in den vergangenen Wochen redlich versucht habe, ihn davon zu überzeugen aufzugeben und Ihnen den Platz zu überlassen. Ich wusste, dass er gesundheitlich angeschlagen war. Er hat sich zu viel zugemutet in der letzten Zeit und macht sich Sorgen wegen der Geschäfte. Aber wie Sie selbst bemerkt haben, ist er jemand, der sehr entschieden seine Überzeugungen verteidigt. Ich hatte gehofft, diesen Zusammenbruch verhindern zu können, aber es ist mir nicht gelungen«, sagte sie und seufzte schwer. »Sie müssen wissen, mein Schwiegervater bedeutet mir viel. Er hat sehr viel für mich getan, seit ich ein Kind war.«
»Hm …«, machte Havisham. Was sollte er dazu sagen? Hatte sie aus falsch verstandener Dankbarkeit in die Ehe mit Baker junior eingewilligt?
Doch da fuhr Mrs Baker fort, die Bitterkeit in ihrer Stimme kaum verbergend: »Ich denke nicht, dass angesichts des geschwächten Zustands meines Schwiegervaters, der vermutlich von Dauer sein wird, wie der Arzt meint, eine Fortsetzung seiner politischen Aufgaben möglich sein wird. Sie haben Ihr Ziel erreicht, Mr Havisham. Ich hoffe, Sie sind nun zufrieden.«
Sie sah ihm direkt in die Augen. Er wurde der Anklage, der Trauer in ihrem Blick gewahr und begann sich plötzlich zu schämen. Wo war seine übliche Selbstsicherheit, seine Unbeirrtheit geblieben? »Mrs Baker, ich versichere Ihnen meinerseits, dass ich die tragische Entwicklung sehr bedaure. Ich wünschte, ich hätte Mr Baker eher umstimmen können. Es tut mir leid«, hörte er sich zu seiner eigenen Verwunderung sagen.
In diesem Moment trat der Bedienstete ein, der ihn vorher hereingelassen hatte, ein Schreiben in der Hand haltend. »Madam, ich habe dies eben unter dem Schreibtisch gefunden. Es muss heruntergefallen sein, als der Herr zusammenbrach. Ich glaube, es ist wichtig. Am besten entscheiden Sie, was damit zu geschehen hat.«
»Danke, Tom!«, sagte Mrs Baker und nahm dem sichtlich betroffenen Bediensteten das Schreiben ab. Noch während dieser das Zimmer verließ, hatte sie begonnen das Schriftstück, das Baker kurz vor seinem Zusammenbruch noch verfasst haben musste, zu überfliegen. Plötzlich erbleichte sie. Entsetzt starrte sie zu Havisham hinüber, der ihr abwartend gegenüber stand. In ihm keimte der starke Verdacht, dass dieses Schreiben etwas mit dem Gespräch zu tun hatte, das Baker mit diesem verfluchten Armindale geführt hatte.
»Mr Havisham, das dürfen Sie nicht! Ich bitte Sie! Bitte tun Sie uns das nicht an, tun Sie Rupert das nicht an! Sie verstehen nicht …!« Plötzlich begann sie zu keuchen, griff sich nach Luft ringend an die Kehle und brach dann ohne Vorwarnung ohnmächtig zusammen. Schockiert stürzte Havisham zu ihr hin und fing sie gerade noch auf. Sie war überraschend leicht in seinen Armen. Suchend blickte er sich um und entschied sich dann mangels eines größeren Möbels, die Ohnmächtige in den Ohrensessel am Fenster zu betten. Dann läutete er hastig nach der Dienerschaft. Es dauerte einen Augenblick bis wieder Tom erschien, offenbar gab es im Haus nicht allzu viele Bedienstete. Beim Anblick seiner ohnmächtigen Herrin schlug der erschreckt die Hand vor den Mund, stöhnte: »Auch das noch!« und eilte dann davon, um Wasser und Riechsalz zu besorgen.
Havisham hob das Schreiben auf, das zu Boden gefallen war. Es handelte sich um
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