Die dritte Sünde (German Edition)
Mrs Reed stand ihr ohnehin wenig freundlich gegenüber, da diese in ihrer ruppigen Strenge der Meinung war, dass nur essen solle, wer auch arbeite, zumindest solange es sich nicht um einen Angehörigen der herrschenden Klasse handelte, die völlig außerhalb jeder Kritik stand. Demzufolge hatten die Küchenmädchen bei Mrs Reed nicht allzu viel zu lachen, dafür umso mehr zu tun. Cathy vermied es deshalb auch, wo sie konnte, der vierschrötigen Mrs Reed unter die Augen zu treten, was sich aber leider besonders morgens nicht vermeiden ließ. Nun war es aber keine der üblichen Zeiten, in denen sie die Küche aufzusuchen pflegte. Das führte erwartungsgemäß zu noch mehr Missbilligung und erstaunten Blicken der vier Küchengehilfinnen, die sich jetzt, nachdem der Lunch vorbei war und die damit zusammenhängenden notwendigen Aufräumarbeiten erledigt waren, vor der Zubereitung des Tees und Dinners etwas Ruhe gönnen konnten. Cathy musste sich schnell eine Ausrede einfallen lassen, um ihren Aufenthalt in der Küche wenigstens halbwegs plausibel zu machen. Sie hoffte, dass, wenn sie nur Gelegenheit hätte, eine ausreichende Zeit den Gesprächen zu lauschen, sie sicher etwas über den neuen Stallknecht in Erfahrung bringen konnte. Gewiss hatte der wirklich sehr gut aussehende junge Mann bereits das Interesse der Mägde erregt.
»Mrs Reed«, begann sie zögernd und – so hoffte sie – mit der notwendigen Unterwürfigkeit in der Stimme, »ich fühle mich heute nicht recht wohl. Mich plagen Leibschmerzen. Sicher nichts Ernstes, aber ich hoffte, mir von Ihren getrockneten Melissenblättern einen Tee bereiten zu dürfen.«
Mrs Reed, die gerade einen letzten kritischen Blick auf die tadellos gereinigten Kupfertöpfe und Pfannen geworfen hatte, brummte undeutlich, was Cathy als »Ja« deutete. Ohne sich zu sehr zu beeilen, fischte sie einige Blätter des genannten Küchenkrauts aus dem entsprechenden Keramikgefäß heraus und goß sich dann einen Tee auf. Da der Aufguss, um seine Wirkung zu entfalten, eine geraume Zeit ziehen musste, gab ihr das die Gelegenheit, sich scheinbar abwartend an den großen Gesindetisch zu setzen – in sicherer Entfernung zu den Mägden, um diese nicht von ihren Gesprächen abzuhalten.
Und tatsächlich hatte sie Glück. Es dauerte nicht allzu lang und das Geplauder der Küchenmägde berührte das Thema, um dessentwillen sie zu der List gegriffen hatte. Der junge Mann, der Isobel so sehr beschäftigte, hatte auch in den unteren Etagen Whitefells bereits für Aufsehen gesorgt. Erst vor zwei Tagen eingestellt, war es ihm bereits gelungen, alle Herzen im Sturm zu erobern. Sogar das des alten Frederick, der kaum jemandem den rechten Umgang mit seinen Schützlingen, den Pferden, zutrauen wollte. Aber dieser Aaron Stutter schien außerordentlich geschickt mit den Tieren umzugehen. Außerdem umgab ihn nach Meinung der Mägde etwas durchaus Geheimnisvolles, da er nicht aus der Gegend stammte und sich einfach, wie aus dem Nichts kommend, auf Whitefell eingefunden und gerade zur rechten Zeit um Arbeit im Stall gefragt hatte. Genau zu dem Zeitpunkt, als Frederick geäußert hatte, dass ihm die Arbeit zu schwer werde, zumal ihm die Hilfe von Tom fehle, der ja zur Marine gegangen sei.
Cathy verbiss sich ein Lachen. Allzu geheimnisvoll war dieser letzte Umstand mit Sicherheit nicht. Die Belange von Whitefell waren auch für die weitere Umgebung des Herrenhauses von allergrößter Wichtigkeit. Außerdem neigte Frederick dazu, das ein oder andere Stout im Pub des nahen Dorfes zu trinken und dort hatte er sicher in seiner redseligen Art ausgeplaudert, dass er dringend einen Helfer brauche. Es war auch nicht ungewöhnlich, dass ein junger Mann, der in seiner Heimat wenig Aussicht auf ein Auskommen hatte, sich auf den Weg machte, um Arbeit zu finden. Viele zogen mittlerweile auch in die Midlands, wo die Wirtschaft, wie sie aus den Gesprächen Mr de Burghs mit seinen Geschäftsfreunden wusste, bemerkenswert aufblühte und die neuen Industriestädte enorm anwachsen ließ. Ein Umstand, der den angestammten adeligen Familien im Süden Englands erhebliches Kopfzerbrechen bereitete. Verlor doch der Süden dadurch mehr und mehr an Bedeutung und Einfluss.
Und dann war ihr das Glück mehr als hold: Sie hatte bereits in äußerst langsamen Schlucken die Hälfte ihrer Teetasse geleert und befürchtete schon, keinen Grund mehr zu haben, um länger auf ihrem Horchposten verweilen zu können, als die Küchentür aufging und
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