Die dritte Sünde (German Edition)
der Gegenstand des allgemeinen Interesses höchstpersönlich eintrat.
Augenblicklich verstummte das Gespräch. Den Mägden schien es die Sprache verschlagen zu haben. Zwei von ihnen erröteten heftig und brachen in albernes Kichern aus, als Aaron Stutter eine galante und so gar nicht zu einem Stallknecht passende neckische Verbeugung vor ihnen vollführte und ein kesses »Meine Damen, ich habe die Ehre« äußerte, wobei er Cathy, die still am anderen Ende des langen Tisches saß, mit einem kurzen Blick streifte. Bewundernde Blicke seitens der vier frischernannten Damen folgten ihm, als er nun zu Mrs Reed hinüberging, der er sich vertraulich näherte, um sie dann mit einem treuherzigen Augenaufschlag zu fragen, ob sie ihm denn noch etwas vom Lunch zurückbehalten habe, da ihn seine Pflichten leider davon abgehalten hätten, am Essen des Gesindes zur üblichen Zeit teilzunehmen.
Cathy hielt den Atem an. Sie erwartete, dass Mrs Reed den unverschämten Bittsteller augenblicklich aus der Küche werfen würde. Es stand außer Frage, dass einem Stallknecht keine Sonderbehandlung zuteil werden würde. Doch nichts dergleichen geschah. Die unerbittliche Mrs Reed lächelte geradezu mädchenhaft und gewährte dem Frechdachs seine Bitte, indem sie ihm höchstpersönlich eine bereitgestellte gut gefüllte Schüssel aus der Ofenröhre holte. Der junge Mann bedankte sich mit einer weiteren neckischen Verbeugung vor Mrs Reed, die diese – Cathy wagte ihren Augen nicht zu trauen – ebenfalls erröten ließ wie die kichernden Küchenmägde vorhin. Aaron Stutter wusste offensichtlich nur zu gut, wie er sein Ziel erreichen konnte.
Und dann setzte sich der Stallknecht zu Cathys Erstaunen, und sicher zum allergrößten Bedauern der vier Mägde, direkt ihr gegenüber an den Tisch und begann seinen kräftigen, mit viel Speck versehenen Eintopf zu löffeln. Einen Augenblick lang war sie völlig verwirrt und besah sich angestrengt den eigentlich nicht sehr interessanten Inhalt ihrer Teetasse.
Nach einer Weile, als sie spürte, dass es langsam seltsam wirken musste, wenn sie nicht reagierte, sah sie vorsichtig auf. Aaron Stutter war offenbar noch immer vollkommen mit seinem Essen beschäftigt. Sie wagte einen weiteren schnellen Blick. Er musste etwa um die zwanzig sein und jetzt, da sie ihm direkt gegenüber saß, erkannte sie, dass der Blick aus der Ferne sie nicht getäuscht hatte. Er war äußerst gut aussehend, um nicht zu sagen schön. Verstohlen studierte sie weiter seine Züge: sinnliche Lippen, ein kräftiges, aber nicht zu stark ausgeprägtes Kinn, dazu eine bemerkenswert wohlgeformte Nase, markante Wangenknochen, auf denen die langen Wimpern unter den dunklen, kühn geschwungenen Brauen einen Schatten warfen … Spontan fühlte sich Cathy an ein Bild erinnert, das sie aber nicht sofort zuordnen konnte. Dann fiel es ihr ein. Aaron Stutter ähnelte – so unwahrscheinlich es schien, und obwohl er mit seinem wirren Haar, der abgetragenen Kleidung und dem Appetit, mit dem er seinen Eintopf löffelte, auch erheblich irdischer wirkte – dem lorbeerbekränzten Heros vom Deckengemälde der Eingangshalle von Whitefell.
Ihr Atem setzte einen Augenblick lang aus, so erstaunt war sie über diese Erkenntnis, da traf sie sein Blick aus bernsteinfarbenen Augen. Diese Augen nahmen sie gefangen, ohne dass sie sich dagegen wehren konnte. Und fast im selben Augenblick wurde ihr bewusst, was für einen erbärmlichen Anblick sie bieten musste, blass, unscheinbar und grau, wie sie war. Selbst jede einzelne der Küchenmägde bot sicher einen erhebenderen Anblick als sie. Beschämt senkte sie den Blick. Cathy Thomson, die graue Maus und Isobel de Burghs persönliches Spielzeug, war wahrhaftig eine Lächerlichkeit.
Hastig stand sie auf. Sie vermochte nicht, dem forschenden Blick Aaron Stutters noch länger standzuhalten. Sie schämte sich entsetzlich. Doch als ihre Hand nach der Teetasse griff, legte sich eine fremde Hand darauf. Aaron Stutters Hand. Erschrocken sah sie ihn an. Er lächelte. Nicht spöttisch und zu Scherzen aufgelegt wie gegenüber den Mägden und Mrs Reed. Dieses Lächeln war warm und offen.
»Wie heißt du?«, fragte er.
Cathy erstarrte. Sie ertrug seine Aufmerksamkeit nicht. Ängstlich machte sie sich los und wandte sich ab. »Cathy«, flüsterte sie kaum hörbar und floh dann völlig durcheinander aus der Küche.
Kapitel 13
Als Cathy leise den Salon betrat, in dem sich Mr de Burgh, sein Gast Mr Havisham und Isobel
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