Die dritte Sünde (German Edition)
seelenvollen Landschaften und vor allem Meeresbildern, die dieser junge Künstler zu erschaffen in der Lage sein solle.
Tatsächlich kannten die beiden Töchter des Earls den angeblich so talentierten jungen Mann persönlich, da sie ihm bei einem ihrer Besuche in London vorgestellt worden waren. Er hatte sie sogar auf Einladung des Earls einige Zeit in Wilton besucht, da der Earl dem jungen aufstrebenden Künstler zugetan war und ihn gerne fördern wollte. Dann aber war durch einen Umstand, zu dem weder Florence noch Mary-Ann näher Auskunft geben wollten, das herzliche Verhältnis plötzlich abgekühlt und Mr Thornton hatte Wilton House mehr oder weniger im Zorn verlassen. Eine Tatsache, die offenbar besonders Florence großen Kummer bereitete, wie Isobel mit staunender Neugier bemerkte.
Es war alles andere als einfach für den Kutscher des zweispännigen Gefährts, sich durch die völlig verstopften Straßen Londons bis zum Trafalgar Square, wo die Royal Academy erst seit letztem Jahr im Ostflügel der National Gallery untergebracht worden war, zu wühlen. Zuvor hatte die Academy, die der Förderung und Ausbildung der jungen vielversprechenden Künstler des Kingdoms diente, ihren respektablen Standort in Sommerset House gehabt, war dann aber aus allen Nähten geplatzt und hatte nun am Trafalgar Square ein noch renommierteres Zuhause gefunden, wie Mary-Ann Isobel in ihrer typischen, äußerst ermüdenden Art erläuterte. Als ob Isobel derlei Details interessiert hätten! Allerdings war auch sie von der Pracht des Trafalgar Squares sehr beeindruckt. Auf dem weiten Platz, auf dem mächtige steinerne Brunnen das Zentrum bildeten, herrschte ein reges Treiben. Auch hier sah sich Mary-Ann unnötigerweise veranlasst zu bemerken, dass die Brunnen bald einer Neugestaltung des gesamten Platzes weichen sollten, dessen Zentrum dann eine gewaltige Säule mit dem verehrten Retter der englischen Nation, Lord Nelson, einnehmen sollte. Man hoffe, damit weiteren Zusammenrottungen der – wie Mary-Ann frevlerisch anmerkte – mit Recht unzufriedenen Bevölkerung auf dem bekannten Platz vorzubeugen. Inzwischen rollten weitere Kutschen heran, entließen immer mehr gut gekleidete Menschen vornehmer Herkunft aus ihrem Inneren und fuhren dann eilig davon, um dem nächsten Gefährt Platz zu machen. Sollte Isobel bisher nicht den Eindruck gewonnen haben, dass London wegen der bevorstehenden Krönung regelrecht überfüllt war mit vornehmer Gesellschaft aus allen Teilen Englands, ja des ganzen Empires, so bekam sie nun eine Anschauung davon. Viele der Herrschaften strömten ebenfalls dem Ziel zu, das sie selbst in Angriff genommen hatten. Es war ein ziemliches Gedränge, als die drei jungen Damen die Stufen zum Eingang der Academy erklommen. Isobel wurde mehrfach angerempelt und wäre am liebsten wieder umgekehrt, aber ihre Neugier obsiegte. Wenn halb London meinte, dass es hier etwas Bemerkenswertes zu sehen gab, wollte sie bei diesem Ereignis auf jeden Fall zugegen sein.
Tatsächlich war sie auch einigermaßen beeindruckt vom Aufgebot des Adels, der sich hier eingefunden hatte, um die Ausstellung der neuesten Werke der von der Academy geförderten und bereits hoch geschätzten jungen Künstler zu bewundern. Isobel hatte dergleichen noch nie gesehen. Die Gemälde auf Whitefell waren, wenn auch zahlreich, deutlich älteren Datums und stellten entweder Landschaftsszenen, Porträts oder aber üppige, mit Bedeutung überfrachtete, allegorische Szenen im manieristischen Stil dar. Das Deckengemälde in der großen Eingangshalle Whitefells, das Cathy immer so bewundert hatte und auf das Isobels Vater mächtig stolz war, stellte ein besonders grandioses Beispiel dieser bis zur Übertreibung ausgeprägten und auch sehr farbenfrohen Kunstform dar.
Die Gemälde, die sie nun zu sehen bekam, sprachen eine ganz andere Sprache. Zwar spielte auch hier die Farbe eine überragende Rolle, aber die Szenen blieben seltsam verwischt und unwirklich. Sie konnte nicht allzu viel damit anfangen und fragte sich, warum so ein Aufheben darum gemacht wurde. Doch Florence schien ganz in ihrem Element. Sachkundig begann sie, der wenig interessierten Isobel eine ganz in goldenen und schwarzvioletten Farbtönen gehaltene Darstellung einer Seeschlacht zu erläutern, auf der die beiden Schiffe, von denen eines bereits in Flammen stand, kaum zu erkennen waren. »Man sieht doch kaum etwas!«, maulte Isobel schließlich. Doch Florence ließ sich nicht beirren: »Die
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