Die dritte Sünde (German Edition)
möglich gehalten. Und das auch noch so sehr, dass dieser darüber sogar seine Bewunderung für Isobels zarte Rundungen vergessen hatte. Nun denn, sollte er doch! Sie hatte ohnehin kein Interesse an ihm. Und weder Lady Branford noch seine eigene Mutter schienen erfreut darüber zu sein, dass die unglückliche Lady Florence ins Abseits seiner Aufmerksamkeit geraten war. Es war unbedingt notwendig, dass Lady Florence zumindest eine Verlobung in Aussicht hatte, bevor Mary-Ann auch nur im Entferntesten an eine Verbindung denken konnte. Außerdem würde ihr Vater wohl kaum eine Verbindung mit einem – wenn auch adeligen – möglichen Unruhestifter, denn als solcher hatte sich Mr Fountley soeben und zu ihrem größten Erstaunen entpuppt, gutheißen.
Kapitel 26
»Ich würde diesen Stoff bevorzugen.« Isobel schob die vor ihr ausgebreiteten exquisiten Erzeugnisse in- und ausländischer Webarbeit achtlos beiseite und wies auf das mit Abstand teuerste Gewebe aus edlem weißen Damast, auf den in aufwändiger Handarbeit Blütenranken mit goldgelbem chinesischen Seidenfaden gestickt waren.
»Eine hervorragende Wahl, Miss«, bestätigte der Schneidermeister mit breitem und äußerst zufriedenem Lächeln. Zusammen mit den Volants und Schleifen aus feinster chinesischer Seide und den üppigen Stoffbahnen, die für den von ihm vorgeschlagenen weitausladenden Rock des Gewandes nötig sein würden, kostete dieses Kleid eine stattliche Summe, an der er gut verdienen würde. Die junge Dame hatte wirklich einen sicheren, wenn auch für ihr zartes Alter etwas unangemessen verschwenderischen Geschmack, aber ihm sollte es recht sein. Er wäre der Letzte, der ihr davon abraten würde.
»Wann wird das Kleid fertig sein?«, fragte seine junge Kundin mit leicht schnippischem Ton, den sie anscheinend gegenüber einem Handwerker für angemessen hielt.
»Drei Tage vor der Krönungszeremonie bestimmt, verehrte junge Dame. Wir haben, das können Sie sich bestimmt denken, zurzeit außerordentlich viele Aufträge, die auch besondere Sorgfalt erfordern. Ich bin sehr froh, dass ich Ihnen überhaupt noch eine ausreichende Stoffauswahl vorstellen konnte. Sie glauben nicht, was jetzt so kurz vor den Krönungsfeierlichkeiten in London los ist.« Seine Kundin wirkte sichtlich enttäuscht. »Aber sollte es mir nicht gefallen, habe ich keine Möglichkeit mehr, noch etwas ändern zu lassen.«
»Oh, da darf ich Sie doch beruhigen. Wir arbeiten immer zur vollsten Zufriedenheit unserer, so darf ich wohl anmerken, vorwiegend hochwohlgeborenen Kundschaft. Selbst die vornehmsten Familien lassen bei uns arbeiten. Gunther’s [11] hat einen ausgezeichneten Ruf und das schon seit über neunzig Jahren. Sie werden gewiss höchst erfreut sein über das Ergebnis unserer Bemühungen und das Kleid wird Ihre Schönheit in einem noch helleren Licht erstrahlen lassen.«
Die junge Dame lächelte geschmeichelt. »Nun, dann erwarte ich das Kleid zu eben diesem Datum und keinen Tag später«, sagte sie hoheitsvoll und schickte sich an zu gehen.
Mr Sullivan, der Verkäufer, konnte aber zu seinem Leidwesen seine Kundin noch nicht entlassen. »Und die Rechnung? Verzeihen Sie, Miss, aber bei neuen Kunden pflegen wir eine Zwischensumme in Rechnung zu stellen. Man hat doch hin und wieder schlechte Erfahrungen gemacht bei Auftraggebern, die durch widrige Umstände plötzlich nicht mehr zahlungsfähig waren. Natürlich gehe ich in Ihrem Fall nicht davon aus.«
»Das sollten Sie auch nicht, Mr Sullivan. Selbstverständlich wird mein Vater, Mr de Burgh, der morgen in London eintreffen wird, die Rechnung, so hoch sie auch immer sein möge, begleichen. Guten Tag, Mr Sullivan!«
Isobel verließ einigermaßen verstimmt das Schneidergeschäft in der Bond-Street, das zu den besten Londons gehörte. Seltsame Gepflogenheiten hatte man hier. Zu Hause würde es niemand auch nur entfernt in den Sinn kommen, sie oder ihren Vater um eine Abschlagszahlung anzugehen.
In der Kutsche warteten ihre beiden Cousinen ungeduldig auf sie. Florence hatte es sich in den Kopf gesetzt, heute unbedingt eine Kunstausstellung in der Royal Academy besuchen zu wollen, wo auch ein gewisser Henry Thornton [12] ausstellte. Offenbar schien das gerühmte Kunstverständnis ihrer älteren Cousine doch nicht so ganz dem Reich der Märchen entsprungen zu sein, wie Isobel bei jenem Dinner vor einigen Tagen selbstverständlich angenommen hatte. Auf der Fahrt schwärmte sie ausführlich von den beeindruckenden,
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