Die dritte Sünde (German Edition)
seine Gemälde betrachtete, deren Pinselführung bei Isobel nur unverständiges Stirnrunzeln hervorrief. Ob Lord Branford wusste, dass seine Tochter die Ausstellung nur aufgesucht hatte in der Hoffnung, ihres möglichen Geliebten – die Vorstellung war nicht nur absurd, sondern auch in höchstem Maße abstoßend – ansichtig zu werden? Isobel spielte mit dem Gedanken, Florences apartes kleines Geheimnis zumindest Lady Branford kundzutun. Das würde einen Tanz geben! Vielleicht sollte sie es tun. Aber nicht heute! Diesen Spaß würde sie sich für eine besondere Gelegenheit aufsparen.
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Eine besondere Überraschung wartete auf Isobel, als sie in Begleitung einer in sich gekehrten und äußerst schweigsamen Florence sowie Mary-Ann, die immer wieder besorgte und mitfühlende Blicke auf ihre ältere Schwester warf, nach Branford House zurückkehrte. Mr de Burgh war endlich aus Whitefell eingetroffen. Stürmisch umarmte Isobel ihren Vater. Endlich würde sie sich auch ohne die lästige Begleitung ihrer unsäglichen Cousinen in die Öffentlichkeit wagen können. Sie brannte unendlich darauf. Da sah sie, dass noch jemand aus dem Salon heraustrat, um die drei jungen Damen zu begrüßen. Es war Havisham. Was um alles in der Welt hatte der hier zu suchen? Und warum bewegte er sich mit einer solch penetranten Selbstsicherheit im Haus ihres Onkels? Wie konnte ihr Vater es wagen, diesen lästigen Menschen nun auch noch mit hierherzuschleppen? Wütend starrte sie ihren Vater an. Der senkte fast schuldbewusst den Blick.
»Isobel, meine Liebe«, setzte er an, »Mr Havisham ist von deinem Onkel, dem Earl, eingeladen worden, die Tage bis zur Krönung in diesem Hause zu verbringen. Ist das nicht überaus reizend von ihm? Sicher bist du auch hocherfreut, Mr Havisham zu sehen. Du kennst ihn ja bereits lange und wirst bestimmt gerne das Deinige dazu tun, unserem geschätzten Gast den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten, nicht wahr, mein Kind?«
Isobel fehlten die Worte. War ihr Vater närrisch geworden? Nicht nur, dass er so dreist war, diesen aufgeblasenen Emporkömmling mitzubringen, nun verlangte er auch noch, dass sie sich mit ihm abgab. So hatte sie sich ihre Zeit in London nicht vorgestellt. Sie hatte doch ausgehen, tanzen und ausgiebig mit den zahlreich vorhandenen jungen Männern flirten wollen! Am liebsten hätte sie sich wie früher als kleines Mädchen vor Wut schreiend auf den Boden geworfen, aber das ging natürlich nicht. Vor allem nicht im Beisein von Lady Branford, die nun ebenfalls in die Halle getreten war. So zwang sie sich, dem zufrieden lächelnden Havisham huldvoll die Hand zu reichen und seinen Handkuss über sich ergehen zu lassen. »Ich freue mich, Sie hier zu sehen, Mr Havisham«, hörte sie sich selbst gemessen sagen, doch dann hielt sie es nicht länger aus. »Leider bin ich von unserem Ausflug in die Stadt sehr ermattet, es war doch ein großes Gedränge dort. Ich würde mich gerne etwas zurückziehen.« Ihr Vater nickte verständnisvoll, wenn auch mit einem seltsam ängstlichen Blick in den Augen. »Sicher, mein Kind. Allerdings erwarte ich, dass du mich und Mr Havisham heute Abend auf einen Ball begleitest, der in Cunningham-Palace stattfinden wird. Mr Havisham hofft, dort einige Bekannte zu treffen und hat um unsere Begleitung gebeten. Vor allem an deiner Anwesenheit ist ihm sehr gelegen.« Isobel sah ihren Vater konsterniert an. Was sollte diese Farce? Wieso ordnete er sich diesem selbstherrlichen und ihr zunehmend unangenehm werdenden Mann, der sie zudem auf eine befremdliche Weise anstarrte, plötzlich so unter? Dergleichen war sie von ihrem sonst sehr standesbewussten Vater nicht gewohnt. Brüsk drehte sie sich um und stieg die Treppen zu ihrem Gemach hinauf. Das konnte ja heiter werden!
Whitefell House, Wiltshire, 10. Juni 1838
Kapitel 27
Aaron fuhr aus dem Schlaf hoch. Jemand hatte an die Tür seiner Knechtekammer geklopft und ihn damit geweckt. Ob mit den Pferden etwas war? Es war doch noch längst nicht die Zeit aufzustehen. Müde rappelte er sich hoch, zog sich seine Hosen an und warf sich rasch das offene Hemd über. Da klopfte es wieder. Es war ein recht vorsichtiges Klopfen. Das klang nicht nach Frederick. Neugierig öffnete er.
Es war Cathy, die dort im Morgengrauen vor ihm stand. Vor Überraschung fehlten ihm die Worte. Doch Cathy ließ ihm auch kaum Zeit für Äußerungen der Verwunderung.
»Verzeih mir, Aaron, dass ich dich so früh wecke. Darf ich kurz
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