Die dritte Sünde (German Edition)
hatten es da zweifellos leichter, auch die jüngeren. Ihnen wurde es als geradezu notwendig für einen jungen Mann nachgesehen, wenn sie ihre Erfahrung mit leichten Mädchen in den zahlreichen Freudenhäusern oder mit anderen willigen Geschöpfen machten. Eine junge Frau von Stand machte ihre ersten Erfahrungen mit diesen Dingen frühestens – so es nach dem Willen und der Erwartung der Gesellschaft ging, und diese war eben maßgeblich – in der Hochzeitsnacht. Und sollte sich der Ehemann dann als wenig erquicklich herausstellen, hatte man eben Pech gehabt. Isobel seufzte! Allein der Gedanke, dass gar ein Mr Havisham dieser Glückliche sein sollte, war außerhalb jeder akzeptablen Vorstellung.
Sie bereute es nicht, zumindest ein wenig Lust mit Aaron Stutter gekostet zu haben, der selbst im Vergleich mit den zahlreichen jungen Männern in London Erhebliches zu bieten hatte, was Aussehen und Leidenschaft betraf, auch wenn er nur ein gewöhnlicher Mann aus dem Volk war. Manchmal war das Schicksal eben ungerecht. Heute gedachte sie jedenfalls, das Beste aus diesem, ihrem eigenen Schicksal zu machen. Zügig eilte sie zusammen mit ihren Cousinen und gefolgt von ihrem Vater und Mr Havisham die breite Eingangstreppe hinauf, die der Earl nebst Gattin bereits betreten hatten, als sie mit einer anderen Dame zusammenstieß und ins Straucheln kam, was Mr Havisham dazu veranlasste, sie um die Taille zu fassen, um sie vor dem Fallen zu bewahren. Auch das noch! Konnte das Weib nicht aufpassen, wohin es trat! Ein unwilliger Laut entfuhr ihr, als die Dame sich zu ihr umwandte.
»Verzeihen Sie, meine Liebe«, meinte diese leichthin, »ich hatte Sie nicht bemerkt.« Doch dann weiteten sich die Augen der Lady, denn eine solche war sie zweifellos, vor Überraschung. »Imogen?«, fragte sie tonlos. Isobel starrte sie irritiert an. Imogen war der Name ihrer Mutter gewesen – der Mutter, die sie nie kennengelernt hatte. Mittlerweile war ihr Vater, der die Dame ebenfalls bemerkt hatte, hinzugekommen. Der Besucherstrom, sichtlich gestört von dem unerwarteten Hindernis auf der Treppe, drängte sich derweil unwillig und schimpfend an ihnen vorbei.
»Lady Craven«, sagte ihr Vater und verbeugte sich galant, wenn auch nicht gerade mit übergroßer Freude. Offenbar kannte er die Dame.
»Mr de Burgh«, Lady Craven war vollendete Eleganz, »ich bin ehrlich überrascht, Sie wiederzusehen nach all der Zeit, zwanzig Jahre sind es bestimmt, nicht wahr?«
»Vermutlich! Darf ich Ihnen meine Tochter Isobel vorstellen?«, meinte ihr Vater steif.
»Tatsächlich, Imogens Tochter! Mein liebes Kind, du bist deiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Wir waren lange Zeit die allerbesten Freundinnen, musst du wissen, bevor sie in den Stand der Ehe trat und nach Wiltshire übersiedelte. Wie habe ich es bedauert, von ihrem Tod zu hören. Welch unerwartete Freude, nun auf ihre Tochter zu treffen und zu sehen, dass sie ganz das Ebenbild ihrer schönen Mutter ist.«
Isobel lächelte geschmeichelt. Sie liebte es, auf die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter angesprochen zu werden. Doch warum verhielt sich ihr Vater so reserviert? Wenn diese Dame der Gesellschaft eine gute Freundin ihrer Mutter gewesen war, sollte es ihren Vater doch freuen, sie zu sehen.
»Und wie geht es Ihnen, Mr de Burgh? Ich hoffe gut! Was macht ihr Sohn Daniel? Ist er auch in London?«
»Nein«, schnappte der Angesprochene in ungewöhnlich rüdem Ton, »er kommt seinen Verpflichtungen in Indien nach und ist nicht abkömmlich.«
»Wie außerordentlich bedauerlich!«, meinte Lady Craven, um dann anzufügen: »Allerdings denke ich, sollten wir uns in den Saal begeben. Unsere Unterhaltung auf der Treppe führt doch zu erheblichen Behinderungen für die übrigen Gäste.« Sie wandte sich um und stieg, sich ausgesprochen feminin in den Hüften wiegend, die lange Treppe hinauf. Isobel folgte ihr fasziniert. Lady Craven war zwar nicht mehr jung, aber eine ausgesprochen schöne Frau. Ihr dunkles Haar, das an der rechten Schläfe schon erstes Grau zeigte, war glänzend, lang und hervorragend frisiert. Auch ihr Gesicht mit dunklen, intelligenten Augen war edel und schön geschnitten und zeigte trotz ihres Alters von wohl knapp vierzig Jahren noch kaum Falten. Ein weiteres Plus war ihr mädchenhaft schlanker Körper und die weißen üppigen Brüste, auf die das verwegen weit geschnittene Mieder des orangefarbenen Seidengewandes einen deutlichen Einblick gewährte. Sie zog die Blicke etlicher Männer
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