Die dritte Sünde (German Edition)
Ich kann nicht tun, was ich will. Das würde wahrscheinlich schlimme Folgen haben.«
Sie sprach in Rätseln. Er konnte es tatsächlich nicht verstehen, aber er sah überdeutlich, dass sie etwas quälte. Wie konnte er sie nur zusätzlich bedrängen? Es tat ihm augenblicklich leid. Wenn er ihr Vertrauen, das er so unverdient zurückerhalten hatte, nicht noch einmal verlieren wollte, dann musste er sie in Ruhe lassen und ihr helfen, so gut er es vermochte. Sicher gab es einen Grund für ihr seltsames Verhalten und vielleicht würde er es, so wie Martha Pole gesagt hatte, irgendwann verdienen, dass sie ihm ihre Beweggründe offenlegte. »Nun, du wirst sicher deine Gründe haben«, meinte er deshalb. »Wohin wirst du jetzt gehen? Zu deiner Familie?« Erstaunt nahm er wahr, dass sie bei seinen Worten deutlich zusammenzuckte. Sie schüttelte den Kopf. »Martha hat mit Mr Finley gesprochen. Ich werde zunächst zu ihm gehen. Seine Frau kann eine helfende Hand auf dem Hof gebrauchen. Vielleicht werde ich später zu meiner Familie gehen«, sie schluckte krampfhaft, »wenn sie mich aufnehmen will.«
Aaron verbot sich jede weitere Frage diesbezüglich. Aber irgendetwas lag hier sehr im Argen. Stattdessen sagte er sanft: »Und was kann ich nun für dich tun?« Cathy hielt ihm ihr Paket hin. »Ich wollte dich bitten, ob du dies für mich verwahren könntest, bis ich zurückkomme. Sollte es dir nicht möglich sein, verbrenne es einfach. Du musst mir nur ganz fest versprechen, dass du es niemand anderem geben wirst. Kannst du das für mich tun?«
»Natürlich!«, Aaron nahm erstaunt das recht schwere Bündel entgegen. »Was ist denn so Geheimes darin, dass es niemand sehen darf?«
»Bücher! Meine Tagebücher!« Sie sah ihn ängstlich an. »Du musst mir versprechen, dass keiner sie sehen wird. Auch du sollst sie nicht lesen, bitte!«
Er lachte ein wenig spöttisch auf: »Da brauchst du dich nicht zu sorgen, Cathy. Ich kann gar nicht lesen.«
»Das ist gut!«, entfuhr es ihr. Doch dann schob sie schnell nach: »Ich wollte dich nicht kränken. Ich meine nur, es ist besser, wenn das, was darin steht, meine Sache bleibt. Bestimmt wäre es besser, ich würde sie selbst verbrennen, aber ich bringe es einfach nicht über mich. Sie sind mein größter Schatz.« Cathy sah ihn bei diesen Worten so flehend an, dass er buchstäblich alles für sie getan hätte. »Mach dir keine Sorgen, Cathy. Ich werde deine Bücher hüten, als wären es die Kronjuwelen«, versprach er ernsthaft und lächelte beruhigend.
Draußen auf dem Hof hörte man Schritte. Das musste Frederick sein, der sich in den Stall aufmachte. Plötzlich spürte er Cathy ganz dicht bei sich. Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Danke, Aaron! Du bist sehr lieb!« Ehe er sich von seiner Überraschung erholen konnte, war sie schon fast zur Tür hinaus. »Kann ich dich besuchen kommen bei Finley?«, fragte er hoffnungsvoll. Sie warf ihm einen gehetzten Blick zu. »Ich muss gehen, Aaron. Bitte, sag keinem, dass wir miteinander gesprochen haben. Es … es wäre nicht gut.« Dann lief sie davon. Aaron blieb zurück, das Paket in der Hand. Seine Wange, die ihre Lippen zart berührt hatten, brannte.
»Cathy Thomson«, murmelte er leise, »sollte sich Gott doch um uns arme Menschenkinder scheren, was ich bezweifle, dann bete ich, dass ich dich bald wiedersehe.«
Branford House, London, 20. Juni 1838
Kapitel 28
Isobel stöhnte gequält auf, als Margret, ihre Zofe, ihr das Knie in den Rücken stemmte, um die Schnürung des Korsetts noch enger zu ziehen. Aber was tat man nicht alles, um angemessen schön zu sein. Heute würde sie zum Ball wieder einmal das blutrote Damastkleid tragen, das die Männerwelt jedesmal über die Maßen beeindruckte, wie sie mit sicherem Gespür längst erkannt hatte. Nach sechs Bällen und acht Teegesellschaften war ihre Bilanz recht zufriedenstellend. Zweiundvierzig Mal war sie zum Tanz aufgefordert worden und bereits zwei junge Männer hatten sich offenbar unsterblich in sie verliebt. Leider war der eine nur Offizier und nicht von adeliger Herkunft, der andere war zwar immerhin der dritte Sohn eines Baronets und auch recht hübsch, hatte aber bedauerlicherweise nur die Aussicht auf zwölfhundert Pfund im Jahr und war deshalb vollkommen indiskutabel. Ein weiterer Makel auf ihrer Erfolgsliste war der Umstand, dass von den zweiundvierzig Tänzen leider elf auf das Konto des überaus lästigen Mr Havisham gingen, der sie und ihren Vater auf
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