Die dritte Sünde (German Edition)
auf sich, was Lady Craven keineswegs in Verlegenheit brachte. Sie stieg wie eine Königin die Treppe hinauf. Isobel nahm sich vor, diese Dame unverzüglich näher kennenzulernen. Wenn sie wirklich eine Freundin ihrer Mutter gewesen war, konnte sie aus ihrem Munde vielleicht etwas mehr über sie erfahren als das, was ihr Vater und auch Mrs Branagh zu erzählen hatten.
Doch der griff sie unsanft am Arm und hielt sie zurück. Lady Craven entschwand in unerreichbare Ferne im Gedränge der Anwesenden.
»Isobel! Wenn ich dir einen guten Rat geben darf, dann hältst du dich von dieser Dame fern. Sie hat einen etwas … sagen wir … ähm, nebulösen Ruf. Das könnte zum Schaden für dich sein.«
Isobel riss sich unwillig los. »Zum Schaden für mich wird sein, wenn du mich weiterhin zwingst, mich mit Mr Havisham abgeben zu müssen. Ich kann ihn nicht ausstehen. Er macht mir mein ganzes Debüt kaputt, Vater.«
Mr de Burgh sah seine Tochter entsetzt an. »Isobel, ich versichere dir, dass nichts mir ferner liegt, als dir Schaden zuzufügen. Aber ich möchte dich sehr bitten, nicht so über Mr Havisham zu urteilen. Er schätzt dich sehr.«
Isobel lachte spöttisch auf. »Gewiss, Vater, deshalb starrt er mich auch immer so unverschämt an und fingert an mir herum, wenn sich auch nur die Gelegenheit bietet.«
»Kind, bitte!« Mr de Burgh sah sich nervös um. Havisham hatte glücklicherweise von der Unterredung der beiden nichts mitbekommen, da er in geringer Entfernung ins Gespräch mit einem ihm bekannten Gentleman vertieft war. »Mr Havisham hat mir anvertraut, dass er in der Tat hofft, deine Zuneigung zu gewinnen.«
»Was?« Isobels Stimme war etwas zu laut geworden, was die Umstehenden dazu veranlasste, irritiert herüberzuschauen. Schnell senkte sie ihrerseits den Blick, um die Aufmerksamkeit der Anwesenden nicht länger zu fesseln. »Vater, das kann nicht dein Ernst sein!«, flüsterte sie erregt, als sie sicher sein konnte, dass niemand mehr zuhörte, »Mr Havisham ist nicht im Geringsten meine Wahl und wird es auch nie sein, das versichere ich dir.«
»Ich bedaure das zu hören, Isobel!«, meinte ihr Vater noch eine Spur nervöser. »Du solltest deine Haltung zu Mr Havisham noch einmal überdenken. Er ist ein sehr respektabler Mann und überdies sehr vermögend. Du solltest dich geehrt fühlen, dass er auf dich aufmerksam geworden ist.«
Isobel sah ihren Vater ungläubig an. Hatte er den Verstand verloren? Solche Reden waren ganz und gar ungewöhnlich für ihn, dem es doch mehr als wichtig war, sich vom Stande der gewöhnlichen Bürger abzuheben. »Vater, ich kenne dich gar nicht wieder«, beschwerte sie sich, »Mr Havisham ist nichts weiter als ein gewöhnlicher Kaufmann aus Salisbury, der durch Zufall in den letzten Jahren zu Vermögen gekommen ist. Sein Vater hatte einen Laden in der Silver Street!«
»Durch Zufall wohl kaum, verehrte Miss de Burgh, sondern durch kluge Geschäftsentscheidungen, die manch anderem wohl anstünden«, ließ sich da Mr Havishams schneidende Stimme hinter ihr vernehmen. »Allerdings darf ich Sie davon in Kenntnis setzen, dass mir inzwischen achtzehn stattliche Ladengeschäfte gehören, davon neun allein in Salisbury, dazu Anteile an dreiundzwanzig weiteren Geschäftsunternehmen sowie Aktien und Besitzanteile im Stahlbau, der Maschinenproduktion und bei Webereien, nicht zu vergessen ein ansehnliches Barvermögen. Bin ich nun in Ihren Augen wert genug, junge Dame?« Sein Blick aus hellen, graublauen Augen ruhte mit gefährlichem Zorn auf ihr. Isobel biss sich auf die Lippen. Sie war zu weit gegangen. Mr Havisham war offenbar wirklich beleidigt. Sie murmelte eine undeutliche fadenscheinige Entschuldigung von unaufschiebbaren persönlichen Bedürfnissen und floh vor der Wut ihres wenig geschätzten Galans. Dieser richtete derweil seine grauen Augen ungnädig auf ihren Vater. »Auf ein Wort, verehrter de Burgh!«, hörte sie ihn noch drohend sagen, bevor es ihr gelang, in der Menge zu verschwinden. Tränen der Wut und der Ohnmacht traten ihr in die Augen. So hatte sich ihr schlimmer Verdacht bestätigt: Mr Havisham strebte eine Verbindung mit ihr an und anstatt ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen, hieß ihr Vater ein solches Vorhaben gut. Am liebsten hätte sie vor Wut geschrien. Das würde sie nie mit sich geschehen lassen, und wenn sie sich Mr Havishams unverbrüchlichen Zorn zuziehen sollte. Das war ihr völlig gleichgültig. Wie konnte ihr Vater es wagen, eine solch absurde Idee
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