Die dritte Sünde (German Edition)
volljährig, du kannst auch ohne seine Zustimmung den Bund der Ehe eingehen.« Thornton klang nun fast zornig.
»Ich … ich …«, Florence stammelte unsicher, »du meinst, ich soll mit dir durchbrennen?« »Wenn du es so nennen willst, Florence, ja! Ich kann so nicht weitermachen. Wenn du nicht mit mir kommst, werden wir uns nie wiedersehen, auch wenn ich dann nie wieder lieben kann.«
Isobel spürte selbst durch die sie verbergende Schrankwand hindurch Florences ängstliches Zaudern. Nicht weiter verwunderlich! Der Earl war eine überaus willensstarke und eindrucksvolle Persönlichkeit. Sich ihm in dieser Weise zu widersetzen, erforderte schon einigen Mut. Mut, den die lachhafte Florence sicher nie aufbringen würde. Und wenn man gar bedachte, um welchen Preis: als mittellose Frau eines Künstlers, der weit unter ihrem Stand war. So dumm konnte selbst Florence nicht sein.
Doch dann fiel Isobel fast in Ohnmacht, als sie Florences Antwort hörte. Alle Albernheit und unangemessene Theatralik war aus ihrer Stimme gewichen. »Du hast recht, Henry. Ich bin alt genug und ich liebe dich von Herzen. Und selbst wenn meine Eltern nie wieder mit mir sprechen werden, bedeutet mir das nichts gegenüber dem Geschenk deiner Liebe. Ich werde mit dir kommen, koste es, was es wolle.« »Florence!« Henry Thorntons Stimme schwankte vor kaum zurückgehaltenen Tränen, »du machst mich zum glücklichsten Menschen unter dem Himmel. Wie ich dich liebe!«
Isobel kniff zornig die Lippen zusammen. Grenzenloser Neid durchflutete sie. Sie gönnte es Florence nicht, dass ein Mann wie Henry Thornton sie erwählte – immerhin ein Künstler, der doch ein erhebliches Ansehen in London genoss, was schon durch seine Anwesenheit auf diesem Fest belegt wurde. Ausgerechnet Florence! Dabei war die ihr selbst, was Schönheit, Anmut und Witz anbetraf, himmelweit unterlegen! Und doch konnte sich dieses groteske, fresssüchtige, späte Mädchen immerhin der leidenschaftlichen Liebesbezeugung eines recht interessanten Mannes erfreuen. Mary-Ann, die hässliche Kuh, hatte sich sogar in kürzester Zeit einen Baron geangelt! Und was hatte sie selbst bis jetzt erreicht? Nichts! Außer einem nur halb erfolgreichen Schäferstündchen mit einem Stallknecht und den unerwünschten Avancen eines widerlichen, wenn auch reichen Gockels, der zudem bedeutend älter war als sie. War denn die ganze Männerwelt verrückt geworden? Hatten sie keine Augen im Kopf? Flammende Empörung über diese Ungerechtigkeit ließ ihr das Blut in den Adern rauschen. Das konnte sie nicht zulassen! Es musste unbedingt verhindert werden!
Entschlossen bahnte sie sich ihren Weg durch die Menge zu den Branfords, die zusammen mit den Fountleys in der Nähe des Büfetts standen und zu denen sich inzwischen auch ihr Vater gesellt hatte. Mr Havisham war zu ihrer Erleichterung nirgends zu sehen.
»Ah, Isobel, wir haben uns schon gewundert, wohin du verschwunden warst«, begrüßte sie Lady Branford mit beunruhigter Stimme, während sie weiter ihre Augen durch die Menge der Besucher wandern ließ, »hast du vielleicht Lady Florence gesehen? Wir vermissen sie schon seit einiger Zeit. Wohin kann sie nur gegangen sein?«
Isobel lächelte unschuldig. »Nun, gesehen habe ich sie nicht, aber ich denke doch, sie gehört zu haben.« Erstaunte Gesichter wandten sich ihr zu. Isobel räusperte sich und zögerte in gespielter Schüchternheit. »Ich weiß nicht, ob ich es sagen soll, aber ich glaube, Lady Florence ist im Begriff eine große Dummheit zu machen. Ach, liebster Onkel«, sie wandte sich nun direkt an den Earl, »ich glaube gehört zu haben, dass Lady Florence plant fortzulaufen und heimlich Mr Thornton, den Maler, zu heiraten. Sie haben darüber in dem Raum dort, versteckt hinter den Schränken, gesprochen. Ich wurde unfreiwillig Zeugin und bin voller Sorge sofort hierhergeeilt. Lady Florence wird sich gewiss ins Unglück bringen. Wie kann Mr Thornton sie nur zu so etwas überreden? Aber er ist ja Künstler und hat wahrscheinlich andere Vorstellungen von Moral und Anstand als unsereins.«
Der Earl of Branford starrte sie einen Augenblick entgeistert an, doch dann stürzte er mit wehenden Rockschößen, gefolgt von seiner Gattin und Isobels Vater, hinüber zu dem Raum auf der anderen Seite des Saales, auf den Isobel gewiesen hatte. Isobel konnte ein zufriedenes Grinsen kaum verbergen. Jetzt würde es zum Eklat kommen. Genau das hatte sie auch bezweckt. Sie schickte sich an, ebenfalls
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