Die dritte Sünde (German Edition)
die Krone hatte noch jedes Mal die Mittel gefunden, solches Aufbegehren im Keim zu ersticken, meistens mit roher Gewalt. Es war ungerecht und oft genug brutal, aber was blieb den Leuten anderes übrig, als sich irgendwie dareinzufinden. Doch zumindest solange er noch ungebunden, jung, kräftig und geschickt war, konnte er einigermaßen sicher sein, überall eine Anstellung als ungelernter Helfer oder Knecht zu finden … aber mit einer Familie, die zu versorgen wäre, sähe die Zukunft schon wesentlich bedrohlicher aus. Aaron zog an den Zügeln und zwang den Schimmel zurück in eine langsamere Gangart. Dass ihm solche Überlegungen überhaupt durch den Kopf gingen? Was fragte er sich denn, ob er in seiner Situation eine Familie würde durchbringen können? Solche Gedanken hatten ihn bis vor Kurzem nicht einmal im Ansatz gestreift. Er hatte, möglichst ohne an das Morgen und besser nicht an das Gestern denkend, in den Tag hineingelebt. Aber nun ertappte er sich schon wieder dabei, dass er sich wünschte, eine Familie, ein Heim zu gründen. Kaum, dass er sich dessen bewusst wurde, huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Daran war ein überaus scheues, sehr schönes rothaariges Mädchen schuld. Was hatte sie nur mit ihm angestellt?
Er lenkte seinen Hengst auf einen schmalen, kaum zu erkennenden Wildpfad, der ihn zum Blinden Weiher führen sollte. Der See lag tief im Wald verborgen und er hätte ihn sicher nicht entdeckt, wenn Frederick ihm nicht vor ein paar Wochen den Weg dorthin beschrieben hätte. Dort würde er sich den Luxus eines kühlen Bades in der gleißenden Junihitze gönnen, und auch der Schimmel, dem der Schaum vom Maul troff, konnte dort saufen.
Nach einiger Zeit tauchte das dunkelblaue Wasser zwischen den Laubbäumen auf, deren tiefhängenden Ästen er immer wieder ausweichen musste. Der See war fast gänzlich unberührt und an den meisten Stellen durch dichtes Dornendickicht den Blicken eines zufällig vorbeikommenden Wanderers entzogen. Selten kam überhaupt jemand hierher, um unerlaubterweise zu angeln. Deshalb fanden sich hier auch seltenere Wasservögel und eine wilde unberührte Pflanzenwelt. Finley ließ es offenbar dabei bewenden. Vielleicht schätzte er den See und seine nähere Umgebung als besonders exquisites, naturbelassenes Jagd- und Angelgebiet für sich und seinen Herrn. Noch wenige Meter und dann wartete das angenehm kühle Wasser des Weihers auf Aaron. Er sprang aus dem Sattel und streifte sich im Laufen das verschwitzte Hemd über den Kopf. Doch dann hielt er verdutzt inne. Heute war er nicht allein. Jemand anderes hatte noch seinen Weg hierhergefunden. Rechts von ihm, in der Nähe eines wahren Knäuels von dornigen Himbeerranken, die dort im Halbschatten prächtig gediehen, stand ein kleiner Weidenkorb schon fast zur Hälfte mit den Beeren gefüllt. Doch der fleißige Sammler war nirgends zu sehen.
Nach einem kurzen Augenblick des Zögerns zuckte Aaron mit den Schultern und wollte sich gerade seiner Hose entledigen, als er plötzlich ein Geräusch hörte, das ihn herumfahren ließ. Er spähte angestrengt durch die Dornenranken und entschied sich dann, doch erst nachzusehen, wer außer ihm noch um die Vorzüge dieses verborgenen Ortes wusste. Langsam ging er um das Beerendickicht herum in die Richtung, in der er den Verursacher des Geräusches vermutete. Plötzlich meinte er, rotes Haar zwischen den Ranken leuchten zu sehen. Cathy!, schoss es ihm augenblicklich durch den Kopf. Mit klopfendem Herzen ging er noch ein paar Schritte weiter. Tatsächlich, da kniete sie. Tief eingetaucht ins Beerendickicht, um auch noch die letzten saftigen Früchte zu ergattern, war sie so vertieft in ihr Tun, dass sie den Neuankömmling am Weiher bisher nicht bemerkt zu haben schien. Aaron war so überrascht, ihr hier an diesem schönen und vor aller Augen verborgenen Ort zu begegnen, dass er zwei Anläufe brauchte, um sie zu begrüßen.
»Hallo, Cathy!«, sagte er schließlich wenig einfallsreich. Diese fuhr erschrocken auf, wandte sich nach ihm um und verfing sich dabei mit ihren langen offenen Haaren in den Dornen.
»Oh! Hallo, Aaron!«, meinte sie hilflos und versuchte dabei mit der einen freien Hand ihre rote Haarpracht aus den Ranken zu befreien, während ihre andere den kleinen Emailletopf mit der Beerenernte umklammerte.
»Warte, ich helfe dir!«, bot Aaron schnell an, wühlte sich nun selbst ins Gestrüpp, die unangenehmen Kratzer, die die Himbeerranken auf seinem nackten Oberkörper dabei
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