Die dritte Sünde (German Edition)
hatte keinen Zweck: Wie könnte er es wagen, sich zu wehren gegen den Herrn, dem alles gehörte – Er musste es eben einmal mehr ertragen – Die groben Fäuste zwangen ihn nach unten, zerrten an seiner Hose – Und dann, dann kam Cecil Turner über ihn … Ekel würgte den Jungen, er wollte schreien, aber er wagte es nicht – Niemand durfte davon wissen. Niemand!! Niemals!! – Er fühlte sich schmutzig und schlecht, er konnte nur noch weinen …
Plötzlich war Cathy bei ihm, streichelte ihn mit sanften Händen und sprach beruhigend auf ihn ein. Er hatte Mühe zu verstehen, was sie sagte, aber ihre Stimme war wie eine hilfreich ausgestreckte Hand in diesem Meer des Ekels und der Angst, das ihn zu ertränken drohte. Die Stimme leitete ihn herauf aus der dunklen Tiefe. Er klammerte sich an sie, an die Stimme und an die junge Frau, wie an die Mutter, die ihm keinen Schutz hatte geben können, die nicht wissen durfte, was Turner mit ihm tat. Er war doch schuld, war doch nichts weiter als Dreck, wie Turner ihm wieder und wieder zugeflüstert hatte, jedes Mal, ja, bei jedem einzelnen seiner gottverdammten, gierigen Stöße. Abgesehen davon hätte ihm kein Mensch geglaubt. Der ehrenwerte Mr Turner war nicht nur reich, sondern auch ein hoch angesehenes Mitglied der Gemeinde, Besitzer des größten Gestüts der Gegend und dazu noch Kirchenältester! Und er, der Knabe Aaron, unehelicher Sohn einer niederen Magd, war ein Nichts, ein Staubkorn unter den genagelten schweren Stiefeln Cecil Turners.
»Es ist alles gut. Beruhige dich, Aaron!« Cathy sprach zu ihm wie zu einem kleinen Kind. Langsam kehrten seine Sinne wieder in die Realität des warmen Sommertages zurück. Er schämte sich bis ins Mark für seine Schwäche, seine jämmerlichen Tränen! Warum hatten ihn seine Dämonen gerade jetzt überfallen? Wie hatte das nur geschehen können? Er wandte sich von ihr ab. Da ließ sie ihn los.
Hastig stand er auf, entfernte sich noch weiter von ihr, lehnte sich rücklings an den Stamm einer der Buchen und verschränkte die Arme erneut schützend vor seiner Brust. Er wagte es nicht, ihr in die Augen zu sehen und spürte endlich mit einer freudlosen Erleichterung, dass er zumindest seine Fassung wiedergewann.
Dann fühlte er mehr, als dass er es sah, dass sie sich ihm näherte. Zutiefst beschämt und abweisend sah er demonstrativ in die andere Richtung. Cathy war soeben Zeugin von etwas geworden, das um keinen Preis hätte offenbar werden dürfen. Ohne es verhindern zu können, hatte er ihr seine Dämonen gezeigt, die ihn seit Jahren quälten und verhöhnten. Cathy musste ihn jetzt von ganzem Herzen verachten! Vorbei der irrsinnige Traum einer wie auch immer gearteten Zukunft mit ihr!
»Ist es wegen Isobel?«, hörte er Cathy fragen.
Er lachte kurz auf in spöttischem Erstaunen. Wegen Isobel? Was um alles in der Welt hatte Isobel de Burgh damit zu tun? Doch dann beschlich ihn ein weiterer schlimmer Verdacht.
»Du hast uns gesehen, nicht wahr?«, fragte er tonlos. Noch immer konnte er sie nicht ansehen.
»Es ist mir wieder eingefallen!«, bestätigte sie mit so leiser Stimme, dass es fast nur ein Flüstern war.
Am liebsten wäre er im Boden versunken. »Cathy, es tut mir so leid. Das alles tut mir sehr leid.« Er schlug die Hände vors Gesicht. Das war ein Albtraum. »Glaube mir, ich wollte das nicht, ich wollte dich nicht erschrecken. Am besten, du gehst jetzt«, sagte er stockend. Die Scham drohte ihn erneut zu übermannen.
»Es gibt nichts, dessen du dich schämen müsstest, Aaron Stutter«, sagte sie und eine sanfte Traurigkeit schwang in ihrer Stimme. »Ich weiß, wie es ist. Wie könnten wir uns wehren? Wie dürften wir das? Du bist deshalb nicht schlecht, jedenfalls nicht schlechter als ich, Aaron.«
Was sagte sie da? Ein großes Staunen erfasste ihn. Doch die Angst saß zu tief, hatte sich in seiner Brust verbissen. Verzweifelt versuchte er die Beklemmung seines Atems zu überwinden, doch er vermochte einfach nicht den Blick zu heben, etwas zu sagen. Er hörte, wie sich ihre Schritte entfernten, nachdem sie ihm ein letztes Mal sanft den Arm gestreichelt hatte. Als er endlich wieder halbwegs seine innere Balance zurückgewonnen hatte, war sie längst fort. Niedergedrückt zog er sein Hemd und seine Stiefel an, stieg auf den Schimmel, der am Ufer gegrast hatte, und ritt zurück nach Whitefell.
Branford House, London, Nacht zum 23. Juni 1838
Kapitel 30
Ein lauter dumpfer Schlag, als sei etwas Schweres auf den
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