Die dritte Sünde (German Edition)
dass sie eine solch namenlose Wut über den Fortgang des Geschehens empfand. Es war aber auch wirklich ungerecht! Ein bisschen Theater und Geschrei – und für Florence wendete sich alles zum Guten. Niemand hatte Mitleid mit Isobel und ihrer trostlosen Situation. Vielleicht sollte sie es auch mit Gift oder etwas Ähnlichem versuchen? Dann verwarf sie den abstrusen Gedanken gleich wieder. Was hätte das geändert? Das Hauptproblem war schließlich, dass ihr Vater seines ganzen Vermögens verlustig gegangen war und sie an Mr Havisham versprochen hatte. Gewiss, er würde sie nicht zwingen, diesen zu ehelichen, aber wenn sie es nicht tat, wären die Konsequenzen entsprechend und ausgesprochen unangenehm auch für sie selbst. Die Vorstellung, in ärmlichen Verhältnissen zu leben, sich möglicherweise gar als Gouvernante verdingen zu müssen, jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Aber auch die Aussicht auf ein Leben – und vor allem auf die Nächte – mit Havisham war alles andere als verlockend, schien aber angesichts der Tatsachen kaum abzuwenden. Sie seufzte schwer. Wenn ihr doch nur jemand raten könnte! Die Einladung Lady Cravens fiel ihr wieder ein. Diese hatte sie, trotz der Peinlichkeit der Situation, freundschaftlich in den Arm genommen, ihr immer wieder mit warmen Worten bestätigt, wie überglücklich sie sei, der Tochter ihrer geliebten Freundin begegnet zu sein, sähe sie doch, dass sie ihrer Mutter nicht nur äußerlich ausgesprochen ähnele, und hatte sie dann ausdrücklich zu sich eingeladen. Nichts sei ihr wichtiger, als sie kennenzulernen, hatte sie wieder und wieder beteuert. Isobel, die aufgewühlt und erregt gewesen war von der zuvor erlebten pikanten Szene, hatte nicht recht gewusst, wie ihr geschah, und trotzdem hatte sie die Bekanntschaft mit dieser außergewöhnlichen und überaus freizügigen Dame außerordentlich gereizt. Nachdem Lady Craven sie hinausgeleitet hatte – denn diese wollte sich wohl noch etwas ihrem heimlichen, aber umso exquisiteren Vergnügen mit Lord Farnham widmen –, stand sie erst wie erstarrt vor der Tür des Salons. Doch dann hatte sie nach kurzem Zögern ihren Vater aufgesucht, um dessen Erlaubnis für einen Besuch bei Lady Craven einzuholen. Dieser hatte brüsk abgelehnt, was sie über die Maßen erzürnt hatte. Aber sie wollte nicht neues Aufsehen erregen und zog es vor, ihren Vater zur Heimkehr nach Branford House zu bewegen, was dieser nur zu gern gewährte.
Doch nun wusste sie, wie sie es anstellen musste, ihren Kopf durchzusetzen, zumindest, was Lady Craven betraf. Etwas immerhin hatte sie aus Florences Vorstellung gelernt.
Kapitel 31
»Und wenn du mich nicht gehen lässt, Vater, dann wird das meine Entscheidung bezüglich Mr Havisham nicht positiv beeinflussen. Das versichere ich dir.« Isobel blickte ihren Vater unnachgiebig an. Noch vor dem Frühstück hatte sie ihn in seinem Zimmer aufgesucht. Er war noch nicht einmal aufgestanden nach der turbulenten Nacht. Sie erklärte ihm, sie wünsche unverzüglich einen Besuch bei Lady Craven zu machen, da sie diese ausdrücklich eingeladen habe und die Stimmungslage in Branford House wirklich unerträglich sei. Es sei eine Zumutung für sie, noch länger hier verweilen zu müssen
Zunächst reagierte ihr Vater, wie sie es erwartet hatte, wieder heftig ablehnend. Offenbar hegte er wenig Sympathie für Lady Craven. Aber dann setzte Isobel ihn ohne Skrupel unter Druck. Sie wusste ja, dass seine Existenz vom Wohlwollen Havishams und ihrem Einverständnis abhing. Folgerichtig lenkte ihr Vater ein. Beinahe hätte sie laut herausgelacht. Wie einfach zu lenken und berechenbar Männer doch waren! Seltsam, dass der Vater ihr früher immer so stark vorgekommen war. Nun sah sie ihn mit völlig neuen Augen. Er war im Grunde nichts weiter als ein lächerlicher Narr! Fast verachtete sie ihn. Ohne sich noch einmal umzusehen, verließ sie das geräumige Zimmer, in dem ihr Vater untergebracht worden war, und ging zurück in den Westflügel des Stadthauses, wo ihr eigenes und die Zimmer ihrer Cousinen gelegen waren. Das Frühstück würde sie sich von ihrer Zofe aufs Zimmer bringen lassen. Sie verspürte wirklich kein Bedürfnis, sich weiter den moralisch entrüsteten Blicken Mary-Anns auszusetzen. Dann würde sie eine Kutsche rufen lassen und sich zu Lady Craven begeben, die ihr ihre Karte überreicht hatte, verbunden mit dem Hinweis, dass Isobel sie jederzeit aufsuchen dürfe, wann immer ihr der Sinn danach stünde. Genau
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