Die dritte Sünde (German Edition)
Londoner Schick entsprachen, nur noch unterstrichen wurde. Alles wirkte leicht, zierlich und gemütlich zugleich. An den Wänden befanden sich Bilder mit allegorischen Darstellungen der vier Jahreszeiten. Allesamt, bis auf den Winter, sehr freizügig bekleidete Frauen, die sich den Freuden des Daseins hingaben. Besonders der Frühling hatte es Isobel angetan. Eine liebliche Jungfrau, ihr selbst nicht unähnlich mit ihren blonden Locken, gab sich, kaum eingehüllt in ein Stückchen Stoff, das ihre lockende Weiblichkeit mehr unterstrich als verbarg, einem griechisch anmutenden, ausgesprochen wohlgeformten Jüngling hin, der sich verlangend über sie beugte. Er erinnerte Isobel, zumindest was seinen Körperbau betraf, stark an Aaron. Die Damen auf den anderen Bildern – ebenfalls im Liebesakt mit mythischen Wesen begriffen – waren mit den Attributen der Jahreszeit umgeben und jeweils in fortschreitendem Alter, was ihrer Sinnlichkeit aber keinen Abbruch tat. Lediglich der Winter in Gestalt eines einsamen alten Weibes blickte allein und sinnend aus dem Fenster eines halbverfallenen Raumes, vermutlich in die Erinnerung an lustvollere Tage versunken. Aber was interessierte sie der Winter? Der lag in weiter Ferne. Isobel widmete sich eingehend und interessiert den Darstellungen, kehrte dann aber wieder zum Frühling zurück, als plötzlich die Tür aufging und Lady Craven, strahlend schön mit locker aufgesteckten Haaren und in ein bequemes fließendes Seidengewand gehüllt, eintrat. »Isobel, meine Liebe! Endlich!«, Lady Craven streckte ihr freundschaftlich beide Hände entgegen und drehte Isobel, als diese sie ergriff, einmal im Kreis herum, offenbar zutiefst beglückt über den Besuch. »Nicht wahr, ich darf dich doch so nennen?«, fragte Lady Craven mit einem herzlichen Lächeln. »Ich bringe es einfach nicht über mich, die Tochter meiner liebsten Freundin nicht fast auch als meine Tochter zu betrachten.«
Isobel fühlte sich angezogen von den warmen Worten der Frau. »Aber gewiss doch, Lady Craven. Ich fühle mich sehr geehrt.«
»Lady Craven! Nein, wie förmlich!« Lady Craven schnalzte ungehalten mit ihrer kleinen spitzen Zunge, die, wie Isobel wohl wusste, über beachtliche Fertigkeiten verfügte. »Du musst mich Jemina nennen, Isobel. Die steife Förmlichkeit unserer englischen Gesellschaft ist mir ein Gräuel, weißt du.«
Isobel konnte sich ein Glucksen nicht verkneifen. »Ich weiß, Lady Craven! Verzeihung, ich meine natürlich: Jemina!«
Auch diese lächelte spitzbübisch und zwinkerte ihr zu. »Nun, Isobel, ich sehe, wir werden uns gut verstehen. Komm, setz dich zu mir.« Sie geleitete Isobel zu einer gemütlichen französische Récamiere, ließ sich darauf nieder und lud mit einer auffordernden Handbewegung ihren jungen Gast dazu ein, dicht bei ihr Platz zu nehmen. »Nein, wie hübsch du bist! Und so sehr das Ebenbild deiner Mutter! Ach, es ist so traurig, dass sie so früh von uns gehen musste. Hast du überhaupt eine Erinnerung an sie?« Isobel schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Sie starb ja schon, als ich erst ein Jahr alt war. Vater sagt, die Geburt hätte sie so geschwächt, dass sie nicht wieder richtig auf die Beine kam und dann in Folge einer Erkrankung starb. Ich bedaure das sehr. Ich hätte meine Mutter gerne gekannt. So blieben mir nur die Erzählungen meines Vaters und Mrs Branaghs, unserer Haushälterin, die aber nicht viel spricht, und ein schönes Bild von meiner Mutter, das sie zeigt, als sie noch ein Mädchen war.«
»Ach, du armes Kind! Und natürlich möchtest du gern mehr wissen von deiner Mutter, nicht wahr?«
»Oh, ja! Sehr gern sogar!« Isobel nickte eifrig. Lady Craven, vielmehr Jemina, schien eine verständige Frau zu sein. »Vor allem«, sie zögerte, gab sich dann aber einen Ruck, »vor allem würde ich gerne wissen, warum mein Vater …«
»Mir gegenüber so viel Abneigung zeigt!«, vollendete Lady Craven den Satz und lachte hell. »Meine liebe Isobel, dafür gibt es eine einfache und doch äußerst komplexe Antwort, die zu erklären viel Zeit in Anspruch nehmen wird.«
»Oh, ich habe Zeit!«, beeilte sich Isobel schnell zu versichern. »Wenn es sein muss, den ganzen Tag.«
»Das höre ich sehr gern. Hast du denn heute sonst keine Verpflichtungen, was die Familie des Earls betrifft? Der Earl of Branford ist ein Cousin von Mr de Burgh, nicht wahr?«
»Ja, er ist unser Verwandter. Und nein, ich habe keine Verpflichtungen!«, sagte Isobel schnell und konnte nicht
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