Die dritte Sünde (German Edition)
dies gedachte sie auch zu tun.
Als sie die Eingangshalle passierte, wäre sie beinahe mit einem hochgewachsenen, aufgeregten jungen Mann zusammengestoßen, den sie zweifelsfrei als Mr Henry Thornton wiedererkannte. So hatte der Earl also nicht gezögert, Mary-Anns Rat Folge zu leisten. Erstaunlich, dass diese so viel Überzeugungskraft entwickeln konnte. Das hätte sie diesem faden Ding gar nicht zugetraut.
»Verzeihen Sie, Miss …?« Mr Thornton sah sie fragend an.
»Miss Isobel de Burgh!«, erklärte sie schnippisch. Dieser Künstler auf Freiersfüßen mit seinen besorgt aufgerissenen Augen hatte ihr gerade noch gefehlt.
»Wissen Sie, wie es Lady Florence geht? Ist sie wohlauf?«, fragte er bettelnd. Seine Stimme zitterte leicht und er rang sichtlich um Fassung. Sie musterte ihn mit einer gewissen Abscheu. Der Mann war mindestens so lächerlich wie seine angebetete Florence.
»Ich denke doch! Sie ist nicht verletzt, wenn Sie das meinen. Allerdings hat man ihr Beruhigungsmittel gegeben, nach dieser grandiosen Dummheit letzte Nacht. Ich weiß nicht, ob sie Sie empfangen kann.«
»Oh, wie konnte sie das nur tun?«, klagte er und brach beinahe in Tränen aus. »Wenn wir doch nur nicht entdeckt worden wären! Aber nun wird alles gut, hoffe ich. Meine arme Florence!«
Isobel hütete sich, ihm zu sagen, dass sie die Ursache für den Eklat beim Ball gewesen war. Sie entfernte sich hastig, als Mary-Ann, die wohl die Stimme Mr Thorntons gehört haben musste, die Treppe herunterkam, um ihn in Empfang zu nehmen. Thornton wendete sich auch sofort Mary-Ann zu, als er ihrer ansichtig wurde. »Lady Mary-Ann, wie geht es meiner geliebten Florence? Kann ich sie sehen?«, hörte Isobel ihn noch erregt stammeln, als sie sich eilig in Richtung ihres Zimmer begab. Nun, die Dinge würden ihren Lauf nehmen. Es würde mit Sicherheit zu tränenreichen Aussprachen und einer großartigen Versöhnung kommen, und dann würde Mr Thornton so bald als möglich mit Florence Branford zum Traualtar schreiten. Die Vorstellung widerte sie an. Besser, sie beeilte sich nun, um nicht noch Zeugin dieser vorhersehbaren Komödie werden zu müssen.
Zurück in ihrem Zimmer, wählte sie nach einiger Überlegung ein hübsches lindgrünes Tageskleid mit einem passenden Sonnenschirmchen und wies ihre Zofe an, noch eine Kutsche kommen zu lassen, bevor diese ihr beim Ankleiden half. Sie gedachte eine morgendliche Ausfahrt zu unternehmen, und zwar so rasch wie möglich.
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Das Haus machte einen sehr einladenden Eindruck. Obwohl diese Bezeichnung reichlich untertrieben war angesichts des überaus prächtigen mit einer säulenumkränzten Vorhalle ausgestatteten und – für das beengte London außergewöhnlich genug – in einem kleinen Park gelegenen Schlösschens von Lord und Lady Craven. Die Besitzer hatten einen sicheren Geschmack mit Freude an Leichtigkeit und Lebenslust. Isobel zweifelte nicht einen Augenblick daran, dass es Lady Cravens Hand gewesen war, die hier gestaltend gewirkt hatte. Das Schlösschen passte zur Wesensart seiner Bewohnerin wie eine exquisite Schatulle zu dem darin verborgenen Schmuckstück. Erwartungsvoll entstieg Isobel der Kutsche und schritt die Stufen zum Eingangsportal, das jetzt am frühen Vormittag noch im Schatten der Vorhalle lag, hinauf. Ohne zu zögern, betätigte sie mutig den Türklopfer in Form eines schweren Eisenrings, den ein eiserner Faun im aufgerissenen Rachen hielt. Kurze Zeit später wurde ihr geöffnet. Den Bediensteten erstaunte ihre frühe Ankunft keineswegs. Man schien sie geradezu erwartet zu haben und geleitete sie sofort in einen von der strahlenden Morgensonne erleuchteten Salon. Sie solle sich bitte nur einen Augenblick gedulden, da Lady Craven gerade noch mit ihrer Morgentoilette beschäftigt sei, sie dann aber unverzüglich empfangen würde. Zufrieden sah Isobel sich um. Das war doch endlich ein Umgang mit ihr, wie er ihr auch zukam. Die Missbilligung ihrer Person im Hause Branford hatte sie heftiger gekränkt, als sie sich eingestehen wollte. Neugierig sah sie sich derweil um. Der Raum war ein Kleinod moderner Innenarchitektur. Die Wände waren schlicht weiß gehalten, aber die Ecken und der Übergang zur Decke waren mit feiner farblich hervorgehobener Stuckarbeit verziert. Der helle glänzende Parkettboden strahlte einladende Wärme aus, die durch die weißen, luftigen Vorhänge mit den in zarten Pastelltönen gehaltenen Schleifen und Volants und den exquisiten Möbeln, die dem neuesten
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