Die dritte Todsuende
Central Park begonnen hatten, waren bis zu diesem Punkt fortgeschritten; sie spürten es beide. Es war ein Öffnen, ein Entblättern, dem keiner von ihnen ein Ende setzen wollte. Was sie taten, war schmerzlich und gefährlich, aber es war schon leichter geworden. Intimität wirkte auf sie wie eine süchtigmachende Droge. Die Dosis mußte ständig gesteigert werden. Und sie wagten sich kaum auszumalen, wie das Ende aussehen mochte oder ob es überhaupt ein Ende gab. Vielleicht waren sie in ein Universum ohne Grenzen eingetreten.
»Es gibt etwas, was ich will«, sagte sie. »Irgend etwas. Aber frag mich nicht, was es ist, denn ich weiß es nicht. Ich bin nicht sicher. Außer, daß ich nicht so weiterleben möchte, wie ich es jetzt tue. Das möchte ich wirklich nicht.«
Er beugte sich vor, um ihre Lippen zu küssen. Zweimal. Sehr zart.
»Wir sind uns so ähnlich«, hauchte er. »Wie Zwillinge. Wir glauben an dieselben Dinge. Wir haben dieselben Wünsche.«
»Ich weiß nicht, was ich mir wünsche«, sagte sie noch einmal.
»Sicher weißt du das«, sagte er sanft und ergriff ihre Hand. »Du willst, daß dein Leben einen Sinn bekommt. Stimmt das nicht?«
»Ich will…«, sagte sie. »Ich will… Was will ich eigentlich? Liebling, ich habe das noch niemandem gestanden, aber ich möchte ein anderer Mensch sein. Völlig. Ich möchte noch einmal auf die Welt kommen und ganz von vorne beginnen. Ich weiß, was für eine Art Frau ich sein möchte, und das bin ich nicht. Es ist alles ein Irrtum, Ernie. Mein Leben, meine ich. Falsch von Anfang bis Ende. Manches hat man mir angetan, und manches habe ich anderen zugefügt. Aber es ist mein Leben, und deswegen trage ich die Verantwortung dafür. Stimmt das nicht? Aber wenn ich zu verstehen versuche, was ich getan habe und nicht hätte tun sollen oder was ich unterlassen habe, dann habe ich das furchtbare Gefühl, daß die ganze Angelegenheit jenseits meines…«
Aber während sie noch sprach, wurden Ernies Lider schwer. Langsam sank auch sein Kopf herunter. Sie hörte auf zu reden, lächelte und nahm ihm das leere Brandyglas aus den schlaffen Fingern. Sie fuhr ihm mit der Hand über das Haar, streichelte seine Wange.
»Jetzt geht's ins Bettchen«, sagte sie zärtlich.
Er murmelte etwas. Sie schaffte ihn ins Schlafzimmer, setzte ihn auf die Bettkante und kniete sich hin, um ihm die Strümpfe auszuziehen. Kleine, blasse Füße. Er streichelte ihr geistesabwesend den Kopf, sein Oberkörper schwankte leicht hin und her, die Augen waren geschlossen.
Sie zog ihm Jackett, Weste, Schlips und Hemd aus. Er brummte schläfrig, als sie ihn zurückschob, Gürtel und Hose öffnete und über seine Beine hinunterzog. Er trug lange weiße Unterhosen, beinahe Bermuda-Shorts, und ein altmodisches Unterhemd mit Schulterträgern.
Sie zog und schubste und hatte ihn schließlich unter die Bettdecke geschafft und seinen Kopf auf ein Kissen gelegt. Er war auf der Stelle eingeschlafen und regte sich nicht einmal mehr, als sie sich vorbeugte und ihn auf die Wange küßte.
»Gute Nacht, Liebling«, sagte sie. »Schlaf gut.«
Sie ging ins Badezimmer und nahm eine Dusche, ihre dritte heute. Die Wunde an ihrem Schenkel war inzwischen nur noch ein dünner roter Strich. Sie wusch sie sorgfältig mit Seife. Den Rest ihres Körpers schrubbte sie heftig, als wollte sie sich von etwas reinigen.
Sie trocknete sich ab, verteilte Puder auf ihre Haut, besprühte Hals, Busen, Achselhöhlen und die Innenseite ihrer Schenkel mit Kölnisch Wasser. Sie streifte ein langes Nachthemd aus weißem Batist über.
Dann kroch sie vorsichtig ins Bett, um Ernest nicht zu wecken. Aber er lag da wie ein Toter, atmete tief und gleichmäßig. Sie glaubte, ein Lächeln auf seinen Lippen gesehen zu haben, war sich aber nicht sicher.
Maddie hatte sie instruiert, Ernies Einstellung zur Ehe herauszufinden, und das hatte sie getan. Sie hatte den Eindruck, daß sie ihn leicht dazu bringen könnte, ihr einen Antrag zu machen, wenn sie nur etwas offener, etwas direkter vorginge. Aber im Moment hatte sie andere Sorgen.
Was sie verwirrte, war ihre automatische Reaktion auf Maddies Rat. Sie hatte gehorcht, ohne zu fragen, obwohl es um ihr Privatleben ging, nicht um Maddies. Trotzdem hatte sie zugelassen, daß die andere Frau ihr vorschrieb, wie sie sich zu verhalten hatte.
So war es schon immer gewesen — andere Leute hatten sie hierhin und dorthin gestoßen, ganz wie es ihnen paßte. Die Beziehung zwischen ihr und ihrer Mutter war
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