Die dritte Todsuende
Blut Verlust seines Lebens. Für sie bedeutete er den Verlust ihrer Unschuld, eine Strafe dafür, daß sie eine Frau war.
Die Krämpfe begannen gleich zu Anfang ihrer Perioden und nahmen an Heftigkeit zu, als sie älter wurde. Seltsamerweise waren die Schmerzen ihr willkommen. Sie waren wie eine Buße.
Als sie am darauffolgenden Abend nach Hause kam, lagen in ihrem Briefkasten drei Briefe: zwei Rechnungen und ein quadratischer, cremefarbener Umschlag. Name und Adresse handgeschrieben. Große, elegante Buchstaben. Abgestempelt in Seattle. Sie kannte niemand in Seattle.
Nachdem sie die Tür verriegelt und die Kette vorgelegt hatte, zog sie den Vorhang vor, setzte sich aufs Bett und betrachtete den quadratischen, cremefarbenen Umschlag. Sie schnupperte daran, aber er war nicht parfümiert. Über der Anschrift stand einfach »Zoe Kohler«. Kein Miss oder Mrs. oder Ms.
Langsam öffnete sie das Kuvert, indem sie die Klebelasche vorsichtig abzupfte. Es schien ihr eine Schande, so dickes, elegantes Briefpapier zu zerreißen. In dem Kuvert steckte ein kleineres Kuvert. Und dann wußte sie, worum es sich handelte. Eine Hochzeitseinladung.
Mr. und Mrs. Arnold Foster Clark
beehren sich, Sie zur Feier der Vermählung ihrer Tochter Evelyn Jane mit Mr. Kenneth Garwin Kohler am Samstag, 10. Mai, um elf Uhr, St. Anthony's Church Pine Crest Drive, Rockville, Washington einzuladen.
Empfang unmittelbar nach der Zeremonie.
R.S.V.P. 20190 Locust Court, Rockville, Washington
Zoe Kohler las diese frohe Botschaft mehrere Male. Ihre Fingerspitzen fuhren langsam über die erhabenen Lettern. Sie faltete das kleine Stück Seidenpapier, das die gedruckte Karte schützte, zusammen. Sie faltete es kleiner und kleiner, bis es so winzig war, daß sie es hätte herunterschlucken können.
Als sie das letzte Mal von Kenneth gehört hatte, lebte er in San Francisco. Dort waren auch die Kuverts mit seinen Unterhaltsschecks immer abgestempelt worden. Und jetzt heiratete er Evelyn Jane Clark in Rockville, Washington.
Sie las die Einladung ein weiteres Mal. St. Anthony's Church. Hieß das, die Braut war katholisch? Und heiratete einen geschiedenen Mann? Hatte Kenneth sich bereit erklärt, die Kinder katholisch erziehen zu lassen? Würde Evelyn Jane nach San Francisco ziehen, oder würde das frisch vermählte Paar in Rockville, Washington, leben? Oder in Seattle?
Diesen absurden Fragen hing sie einige Minuten lang nach. Aber bald mußte sie sich der vollen Ungeheuerlichkeit dessen, was Kenneth getan hatte, stellen. Ihr eine Einladung zu seiner Hochzeit zu schicken, war eine Boshaftigkeit sondergleichen! »Ich habe die Frau gefunden, die aus dir nie geworden wäre. Jetzt kann ich glücklich sein.«
Es wäre einfach, freundlich, menschlich gewesen, sie nichts von seiner Hochzeit wissen zu lassen. Er war frei vor Recht und Gesetz; er konnte tun, was ihm beliebte; es ging sie nichts an. Ihr eine Hochzeitsankündigung zu schicken, war ein Akt der Bösartigkeit, des Hasses.
Plötzlich war sie müde, physisch erschöpft. Ihre Gelenke waren wie Wasser. Auch geistig war sie ausgebrannt. Alle Energie hatte sie verlassen, die Batterie war leer. Sie saß vornübergebeugt auf dem Bettrand und fühlte sich vollkommen hohl. Die Hochzeitseinladung glitt ihr aus den Fingern, fiel auf den Boden.
Ihre Depression hatte begonnen, als Ernest ihr von Harry Kurnitz und dieser Sekretärin erzählt hatte. Zoe hatte nicht die geringste Ahnung, warum sie das so traurig stimmte. Maddie war vorher schon verheiratet gewesen, genau wie Harry. Eine Scheidung wäre für sie nicht der Untergang gewesen. Lediglich ein weiteres Versagen.
Und jetzt diese kunstvoll auf edlem Briefpapier gedruckte Nachricht, die sie an ein weiteres Versagen erinnerte: ihr eigenes. Wie besessen versuchte sie, sich an einen Erfolg in ihrem Leben zu erinnern, aber sie konnte keinen finden.
»Mußt du jedesmal den Aschenbecher leeren, wenn ich eine Zigarette ausdrücke?« hatte Kenneth sich beklagt. »Ich werde noch den ganzen Abend rauchen. Kannst du damit nicht warten, bis wir ins Bett gehen?«
Und…
»Mein Gott, Zoe, mußt du schon wieder diesen unmöglichen Pullover anziehen? Das ist ja schon wie eine Uniform bei dir. Alle anderen Frauen auf der Party werden Kleider tragen. Du bist die jüngste Matrone, die ich je gesehen habe.«
Und…
»Du schläfst mir doch nicht ein, oder? Ich hasse es, einen Orgasmus zu haben und dich dabei schnarchen zu hören. Verzeih mir, wenn ich dich vom Schlafen
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