Die dritte Todsuende
aufgefunden wurden, wegen der Perückenhaare und wegen der geschätzten Größe des Täters. Und wegen noch etwas ganz anderem.«
»Und das wäre?« fragte sie argwöhnisch.
»Einer der Punkte, mit denen ich mich beschäftigt habe, als Boone mir von den beiden ersten Morden erzählt hat, war der Tag, an dem sie begangen worden sind. Ich hatte gedacht, es könnte vielleicht eine Beziehung zum Vollmond geben. Du weißt ja, wie die Zahl der Verbrechen ansteigt, wenn Vollmond ist.«
»Gab es eine Verbindung?«
»Nein. Weder bei den beiden ersten, noch beim dritten. Dann habe ich mir die Intervalle zwischen den Morden angeschaut. Jeweils sechsundzwanzig Tage zwischen dem ersten und dem zweiten und dem zweiten und dritten. Fällt dir daran etwas auf?«
Sie antwortete nicht.
»Ich bin sicher, daß dir etwas auffällt«, sagte er sanft. »Sechsundzwanzig Tage ist die durchschnittliche Zeitspanne zwischen den Monatsblutungen der Frau. Ich habe es in deinem Handbuch der Gynäkologie nachgeschlagen.«
»Mein Gott, Edward, nennst du das einen Beweis?«
»Für sich gesehen gibt es nicht viel her, aber wenn man es zu den bereits vorhandenen Punkten addiert, beginnt sich ein Muster abzuzeichnen: eine Psychopathin, die von ihrer monatlichen Periode zu Verbrechen getrieben wird.«
»Aber Fremde töten? Ich glaube es immer noch nicht. Und du sagst ja selber, die Statistik spricht dagegen.«
»Warte«, sagte er, »ich habe noch mehr.«
Er bückte sich und hob einen Stapel Papier auf. Er legte ihn sich in den Schoß, setzte seine Lesebrille auf und begann zu blättern.
»Ich brauche wahrscheinlich noch ein Weilchen«, sagte er. »Hättest du gern einen Drink oder einen Kaffee?«
»Nein, danke«, sagte sie steif.
Er nickte, blätterte weiter, fand schließlich die Seite, die er suchte, nickte und lehnte sich zurück.
»Die Wahrscheinlichkeit spricht dagegen«, sagte er, »das muß ich zugeben. Wenn man sich an die Erfahrungswerte hält, tut Slavin genau das Richtige, indem er nach einem männlichen Killer sucht. Aber ich habe mir überlegt, daß die Statistiken vielleicht falsch sind. Oder weniger falsch als vielmehr veraltet. Überholt.«
»Ah ja?«
Wenn ihre Neugier geweckt war, dachte er bitter, wußte sie das gut zu verstecken.
Er blickte sie nachdenklich an. Er kannte ihre scharfe Intelligenz und ihren beißenden Witz. Er scheute vor dem Drahtseilakt zurück, auf den er sich eingelassen hatte. Bestensfalls konnte er mit amüsierter Herablassung rechnen, widerwilligern Lob für seine Versuche, außerhalb seines Horizonts zu dilettieren. Schlimmstenfalls würden Hohn und Spott auf ihn herabprasseln.
»Ich habe dich oft von der ›neuen Frau‹ reden hören«, begann er. »Ich nehme an, daß du damit eine Frau meinst, die sich von den Ketten männlicher Vorherrschaft befreit hat.«
»Und von denen der Gesellschaft«, fügte Monica hinzu.
»Gut«, sagte er. »Die Unterdrückung durch einzelne Männer und eine männlich orientierte Gesellschaft. Die neue Frau versucht, ihr Schicksal selbst zu kontrollieren, übernimmt selbst die Verantwortung. Richtig? Sind das nicht mehr oder weniger die Ziele der Frauenbewegung?«
»Mehr oder weniger.«
»Der Feminismus ist eine Revolution«, fuhr er fort. Er sprach langsam, beinahe vorsichtig. »Eine soziale Revolution vielleicht, aber um so bedeutsamer. Nun, bei Revolutionen kommt es immer auch zu Exzessen. Nein —«, unterbrach er sich hastig, »nicht zu Exzessen; das Wort war nicht gut gewählt. Aber Revolutionen haben manchmal, meistens sogar, Folgen, die weder ihre Führer noch die Gefolgschaft voraussehen konnten.
Anders ausgedrückt, die ›neue‹ Frau ist vielleicht unabhängiger, selbstbewußter, ehrgeiziger, mutiger, entschlossener und erfolgreicher als die Frau von gestern. Aber vielleicht hat sie bei dem Versuch, sich von jahrhundertelanger Repression zu befreien, auch andere, weniger wünschenswerte Züge entwickelt. Und wenn dem so wäre, dann könnten diese Eigenschaften all unsere Statistiken und Erfahrungswerte über das, wozu Frauen in der Lage sind, über den Haufen werfen.«
»Ich vermute«, sagte Monica von oben herab, »du sprichst von Verbrechensstatistiken und Kriminalitätsraten.«
»Zum Teil«, sagte Delaney, »aber nicht ausschließlich. Ich wollte mich darüber informieren, ob die Frauen von heute sich verändert haben oder noch verändern, und zwar auf irgendeine Weise, die sie empfänglich für selbstzerstörerisches oder antisoziales Verhalten
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