Die dritte Weissagung
verschafften selbst ihr etwas wie ehrfürchtige Schauer. Der Prunk übertraf nahezu alles, was die Vampirin bislang zu Gesicht bekommen hatte.
Und sie hatte vieles gesehen im Laufe der Jahre. Mehr, als die allermeisten Menschen in ihrem ganzen Leben schauen konnten.
Irina war an Orten gewesen, die anderen tabu waren. An Orten auch, die viele nicht einmal für existent hielten.
Stets war ihr der Tod gefolgt, einem unsichtbaren Schatten gleich. Und überall hatte sie ihn zurückgelassen.
Denn der Tod war zu ihrer Profession geworden, zu ihrem Geschäft. Und doch war alles kaum mehr als ein Spiel für Irina, mit dem sie sich die Zeit, über die sie im Überfluß verfügte, vertrieb.
Irina hatte Staatsmänner getötet. Sie hatte politische Quertreiber in aller Herren Länder umgebracht und auf Wunsch von Wirtschaftsgrößen unliebsame Konkurrenten beseitigt.
Irina, die Vampirin, war zu einer Killerin geworden, zu einer Auftragsmörderin, die mit Geld nicht zu bezahlen war - weil sie sich mit Geld nicht bezahlen ließ.
Irina forderte anderes als Lohn. Dinge, die gleichfalls nicht mit Geld zu bezahlen waren.
Und heute Nacht würde sie endlich das bekommen, wonach ihr schon seit langem gelüstete. Etwas, das sie reizte, seit sie damals von seiner Existenz erfahren hatte .
... und alles, was sie dafür tun mußte, war, den Papst zu töten.
Lächelnd kam Irina vor der Tür zum Schlafzimmer des Heiligen Vaters an.
*
Johannes Paul I. schlief. Und er lächelte.
Wie ein Schatten glitt Irina an sein Bett, das sie sich prachtvoller vorgestellt hatte, wie auch der gesamte Raum nicht ihren Erwartungen entsprach. Seine Ausstattung war geradezu schlicht, wenn auch keineswegs ärmlich. Zweckmäßig eben.
Irina schüttelte den Kopf, als ihr Blick den alten, zerbeulten Wecker auf dem Nachtkästchen streifte. Die Wohnstatt des Oberhauptes einer Weltreligion hatte sie sich anders ausgemalt .
Mondlicht fiel ungehindert durch die Fenster, deren Gardinen nicht zugezogen waren. Dahinter lagen die vatikanischen Gärten, deren Bewuchs sorgsam gestutzt war und wie mit silbernem Staub überpudert wirkte.
Diesen Silberglanz wob der Mond auch über alles im Zimmer, und selbst das Gesicht des Papstes schien zu strahlen; ein Eindruck, den sein geradezu seliges Lächeln noch verstärkte.
Irina betrachtete den Schlafenden eine Weile lang, dann beugte sie sich vorsichtig über ihn, brachte ihr Gesicht ganz nah an das seine, bis sie seinen gleichmäßigen Atem als warmen Hauch auf ihrer Haut spürte - und fröstelte .
Einen Moment lang sann sie darüber nach, warum nie ein Vampir vor ihr versucht hatte, was sie jetzt im Begriff war zu tun. Wäre es nicht ganz im Sinne der Alten Rasse gewesen, den mächtigsten Mann der katholischen Kirche für sich zu gewinnen - oder vielmehr zur Marionette, zum Diener des vampirischen Volkes zu machen?
Ein Grund mochte sein, daß solch große Einflußnahme dem geheimen Wirken der Alten Rasse eher zuwider gelaufen wäre.
Aber wie lange wollte ihr Volk denn noch aus dem Verborgenen heraus die Fäden ziehen? Wann endlich würden sie die Herrschaft über die Menschheit antreten und den Platz einnehmen, der ihnen allein ihrer Macht wegen gebührte?
Daß der Lilienkelch nach wie vor verschwunden war, konnte eine Erklärung dafür sein, daß in den seither vergangenen Jahrhunderten kein solcher Übernahmeversuch unternommen worden war. Aber warum war es nicht schon zuvor geschehen, als der Hüter noch die Welt bereist und die Sippen besucht hatte, als die Vampire über die Nachwuchsfrage nicht einmal hatten nachdenken müssen?
Irina fand keine Antworten auf diese Fragen. Es mochte sein, daß sie sich ihrem eigenen Volk in den zurückliegenden Jahrzehnten, da sie als Einzelgängerin umhergezogen war, zu sehr entfremdet hatte, um dessen Beweggründe noch zu verstehen.
Trotzdem, ihr war, als gäbe es solche Antworten. Und sie hatte das Gefühl, daß sie zum Greifen nahe lagen .
Irinas rechte Hand faßte nach der Bettdecke, zog sie über die Brust Albino Lucianis herab. Ihre Linke drehte sich in den Kragen seines Nachtgewandes. Der Ruck, mit dem die Vampirin ihn hochzerrte, ließ den Papst die Augen öffnen.
Sein Lächeln erstarb.
Lange bevor er selbst starb.
*
Niemand hatte ihr Kommen bemerkt, und niemand bemerkte, wie Irina die Gemächer des Papstes verließ.
Den Vatikan indes verließ sie noch nicht.
Die Vampirin durchstreifte zwei, drei Korridore, huschte leichtfüßig eine Treppe empor und blieb
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