Die duemmsten aus meiner Klasse sind Lehrer geworden
brave Kollegen die letzten Dienstfahrscheine und Dienstbriefmarken.
Ich kann zaubern
Die Allmacht des Lehrers
I ch liebe meinen Beruf. Er gibt mir Kraft und Selbstbewusstsein. Die Gesellschaft setzt nahezu grenzenloses Vertrauen in mich und meine Fähigkeiten. Selbst kritische Schüler, die nicht mehr an den Klapperstorch glauben, halten mich für allwissend und allmächtig.
Es ist Mittwoch, kurz vor zwölf. Ich überlege vor der geschlossenen Schulbibliothek, wie ich an Geschichtsbücher komme. »Wissen Sie, wo Herr Külpnagel Unterricht hat?« Der junge Mann aus der Mittelstufe sieht mich erwartungsvoll an. Natürlich kenne ich die individuellen Stundenpläne aller 75 Kollegen und Kolleginnen auswendig: »Raum 117. Da hat er gerade Physik. Oder er ist im Computerraum.« Solche Routinefragen beantworte ich aus dem Stegreif. Auch überraschende Sachprobleme löse ich jederzeit kompetent: »Wissen Sie, was auf Chinesisch, Viel Glück’ heißt?« – »Wie berechnet man die Elastizität eines Gummibärchens?« – »War Tschaikowsky wirklich schwul?« – Fragt mich! Ich weiß alles!
Meine Schüler erwarten von mir Antwort auf die Fragen, wer ihren Tisch beschmiert, aus ihrer Cola-Flasche getrunken, ihren Radiergummi oder ihren iPod geklaut hat. Selbst ein guter Kriminalist stößt da an seine Grenzen, wenn es keine Zeugen, keine bestimmte Tatzeit und keine Verdachtsmomente gibt. Der Blick der Kinder istvoller Zuversicht. Natürlich finde ich die Schmierer und Mundräuber und bringe den iPod zurück, der in der Zwischenzeit dreimal weiterverkauft worden ist.
Morgens lasse ich einen Aufsatz schreiben. Mittags fragt mich Klara gespannt nach dem Ergebnis. Ich hatte zwar auch zwischendurch Unterricht, aber ich habe heimlich unterm Lehrerpult 25 Aufsätze korrigiert. Das schaffe ich in nur 45 Minuten spielend und kann dabei sogar noch verfolgen, was für einen Unsinn die beiden Referenten in Geschichte präsentieren.
Sie haben herausgefunden, dass Martin Luther King gegen die Gleichberechtigung der Schwarzen war und George Washington 1994 Präsident der USA geworden ist. Eine beachtliche Leistung für einen Toten! Einige Schüler glauben ja auch, dass Bismarck im ersten Weltkrieg die Mauer gebaut hat. Aber ich schaffe es, ihnen in einem einzigen Schuljahr geschichtlichen Halt zu geben. Vom ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, unter Einbeziehung aller aktuellen Konflikte. Und das in nur einer einzigen Wochenstunde! Kein Problem. Ich kann das. Ich mach’ das. Der Bildungsminister und die Rahmenplankommission glauben an mich. Ich werde sie nicht enttäuschen.
An meine Omnipotenz glauben auch die Kindseltern. Eine Mutter erklärt: »Ich habe gar keinen Einfluss mehr auf Max-Xaver. Wie soll ich ihn dazu bringen, regelmäßig die Schule zu besuchen? Vielleicht finden Sie einen Zugang zu ihm?«
In meiner 9. Klasse sind 32 Jugendliche. Fast alle haben Probleme mit sich, mit der Familie und dem Leben. Aber ich finde immer Zeit, Mittel und Wege, um jeden einzeln anzusprechen, seine Schwierigkeiten und besonderen Fähigkeiten zu eruieren, individuelle Lernwege festzulegen und alle Probleme zu beseitigen. Ich hole die Schwänzer ins Boot zurück, löse den Schweigsamen die Zunge, finde für Shari-Lee nettere Eltern und für Korbinian einen krisensicheren Job. Dafür bin ich doch da. Ich erfülle alle Lehrplanverpflichtungen in Geschichte, Deutsch, Erdkunde, Ethik und Musik. Ich unterrichte fachfremd Physik und Chemie, wenn Not am Mann ist. Nebenbei fülle ich Statistiken und Evalu-ationsbögen aus, hefte alle nur möglichen Formulare in Schülerbögen, organisiere eine Reise nach Usbekistan, eine Partnerschaft mit einer albanischen Schule und ein Theaterprojekt. Und ich schaffe bei Max-Xaver in nur vier Wochenstunden all das, was seine Eltern in 17 Jahren nicht erreicht haben. Meine pädagogische Zauberkraft macht den Jungen sozial kompatibel und leistungsstark.
Ich kann auch durch Wände sehen. Wenn Eltern spontan in die Schule kommen, weiß ich genau, was ihre Tochter gerade in Mathematik lernt und welche Schwierigkeiten ihr Sohn in Spanisch hat. In meiner Klasse unterrichten durch das Kurssystem 30 Lehrer, die sich in sechs verschiedenen Lehrerzimmern aufhalten. Da ist es doch kein Kunststück, als Klassenlehrerin immer aktuell informiert zu sein.
Am meisten setzen »Bildungsexperten« und Journalisten auf meine Allmacht. Und sie haben damit völlig Recht! Ich werde alle meine Schüler zu einem schulden- und drogenfreien
Weitere Kostenlose Bücher