Die Duftnäherin
dass Euch Bruder Hermannus gesagt hat, dass ich eine Hexe bin.«
Bruder Adolfus ließ sich nicht anmerken, ob sie mit ihrer Vermutung richtiglag.
»Bruder Hermannus war es auch, der mich in diese Zelle gebracht hat«, erklärte sie. »Er ist ein guter Mönch, und er hat recht daran getan mich hier einzusperren.«
Nun schien sie die komplette Aufmerksamkeit des Mönches zu besitzen. Sie stand auf und faltete die Hände wie zum Gebet. »Der Teufel muss in mich gefahren sein, dass ich meinen Bruder verlassen und mich davonmachen wollte. Doch hier unten, in der Dunkelheit, ist mir im Gebet wieder und wieder der Herrgott begegnet. Er allein. Und er hat mir Mut gemacht, während der Teufel sich nicht mehr hat blicken lassen. Der Herr hat mir gezeigt, welcher Weg der richtige ist. Der Dämon hingegen hat seine Macht über mich verloren.«
Adolfus musterte sie zweifelnd, dann griff er sich den Eimer und verschwand.
Zwei weitere Tage waren seit dem Gespräch mit Bruder Adolfus vergangen. Zumindest war dies Annas Einschätzung, denn sie hatte seitdem vier Mahlzeiten bekommen. Vielleicht waren es auch schon drei Tage. Doch das war nicht weiter wichtig. Wichtig war allein, dass der Erfolg, den sie sich von ihrer Unterredung mit Adolfus erhofft hatte, bislang ausgeblieben war. Weder war Bruder Hermannus zu ihr gekommen, noch hatte sie von anderer Seite erfahren, was sie tun musste, um freizukommen.
Unzählige Male hatte sie sich den Kopf zermartert, weshalb man sie eingesperrt hatte. Wahrscheinlich fürchtete man, dass Gawin seine Arbeit nicht fortsetzen würde, wenn sie das Kloster verließe. Andererseits hätte man ihm im Umkehrschluss dann auch erzählen müssen, dass man sie deshalb im Keller festgesetzt hatte. Doch weshalb war er dann in all den Tagen, in denen sie nun schon hier unten festgehalten wurde, nicht ein einziges Mal zu ihr gekommen? Es ergab einfach keinen Sinn.
Ein weiterer Gedanke schoss Anna durch den Kopf und blieb schwer wie ein Stein in ihrer Magengrube liegen. Was wäre, wenn Gawin Bescheid wüsste, aber gar nicht daran dachte, ihr in dieser misslichen Situation beizustehen?
Das Quietschen der Kellertür ließ Anna zusammenfahren. Gespannt lauschte sie. Nur ganz leise vernahm sie das Geräusch von Ledersohlen auf den Stufen. Es hörte sich an, als ob mehrere Personen die Treppe hinabgestiegen kämen. Anna lauschte. Sie rechnete damit, im nächsten Moment den Schein einer Fackel zu sehen, doch es blieb dunkel. Nur ganz leise konnte sie zwei Stimmen ausmachen, die eine tief und männlich, die andere eher hoch, fast wie die einer Frau. Aufmerksam spitzte sie die Ohren. Die tiefe Stimme war ihr vertraut. Sie versuchte, ihr ein Gesicht zuzuordnen. Bruder Hermannus, erkannte sie. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie horchte weiter. Jetzt war sie sich ganz sicher, die Stimme des Mönches erkannt zu haben, die andere, die eher weibliche, war ihr jedoch nach wie vor unbekannt. Vielleicht sprach Bruder Hermannus mit jemandem, der Anna davon überzeugen sollte, dem Teufel abzuschwören. Was für ein unsinniger Gedanke. Sie würde alles und jedes bezeugen, um nur endlich aus diesem Loch herauszukommen. Wieder lauschte sie angestrengt. Die Schritte kamen nicht näher, was sie wunderte. Was machte Bruder Hermannus mit einer Frau hier unten im Keller? Und wo käme diese überhaupt her? Gehörte sie zu den wenigen Frauen, die zusammen mit einer Gruppe von Männern reisten und deshalb für wenige Pfennige über Nacht Unterschlupf im Kloster fanden? Plötzlich erkannte Anna, dass sie sich getäuscht hatte. Die zweite Stimme gehörte keiner Frau, sondern einem Knaben, der noch nicht in den Stimmbruch gekommen war. Wahrscheinlich einem der jungen Novizen. Als sie sich jedoch erneut fragte, was die beiden hier unten im Keller taten, hörte sie den Novizen plötzlich so schrecklich aufwimmern, dass sie am ganzen Körper Gänsehaut bekam.
»Sei ruhig«, hörte sie Bruder Hermannus zischen. »Es ist der Wille des Herrn, dass du dich fügst.« Die letzten Worte gingen in einem kurzen Stöhnen unter.
Anna trat von der Tür zurück, presste die Hände fest auf beide Ohren, setzte sich auf ihre Pritsche und zog die Beine gegen ihre Brust. So musste sie wenigstens nicht mehr hören, was nur wenige Meter von ihr entfernt vor sich ging. Dennoch war ihr der Gedanke an das, was der Novize zu erleiden hatte, so zuwider, dass ihr übel wurde. Sie hörte auch nicht, wie die beiden nach einer Weile die Stufen wieder hinaufstiegen.
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