Die Duftnäherin
fest.
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12 . Kapitel
A n die klamme Kälte hatte sie sich in den drei Tagen, die sie hier festsaß, schon gewöhnt. Aber die Dunkelheit und der Gestank machten ihr von Stunde zu Stunde mehr zu schaffen. Dabei musste sie sich eingestehen, dass es vor allem der Geruch ihres ungewaschenen Körpers und ihre Notdurft waren, die ihr Übelkeit verursachten. Der Eimer, in den sie sich erleichterte, war bisher nur einmal geleert worden. War es Tag oder Nacht, Morgen oder Abend? Sie wusste es nicht mehr. Jedwedes Zeitgefühl war ihr abhandengekommen. Zu Beginn ihrer Gefangenschaft hatte sie sich noch daran orientiert, wann sie Essen und Trinken erhalten hatte. Dann war es ihr jedoch so vorgekommen, als wären die Mahlzeiten von zuvor drei auf nur mehr zwei verringert worden. Oder erhielt sie inzwischen sogar nur noch eine Ration pro Tag? Anna vermochte es nicht zu sagen. Sie starrte in die Dunkelheit. Die Fackel, die ihr am Anfang etwas Licht gespendet hatte, war vor mindestens zwei Tagen erloschen. Nur wenn ihr das Essen gebracht wurde, erhellte für einen Moment der Lichtschein eines Talglichts im Gang ihr Gefängnis. Doch sobald der Mönch sich wieder entfernte, holte sich die Schwärze sogleich zurück, was sie an Sichtbarem hatte preisgeben müssen.
Anna hatte längst aufgehört darüber nachzugrübeln, welch schreckliches Verbrechen sie begangen haben mochte, um diese Bestrafung zu verdienen. Zu verdienen? Anna dachte über das Wort nach. Nein! Sie hatte diese Strafe nicht verdient, sie hatte sie geschenkt bekommen. Strafe war das Einzige in ihrem Leben, was sie sich nicht hatte erarbeiten müssen, sondern umsonst bekommen hatte. Einfach so. Und noch ein weiterer Gedanke hatte sie während der Tage, die sie hier saß, über alle Maßen beschäftigt. Sie hatte aufgehört sich zu fragen, wann die Qualen, die sich durch ihr Leben hindurchzogen, endlich vorüber wären. Stattdessen fragte sie sich nur noch, wann sie sich endlich mit ihnen abfinden würde. Wann würde sie akzeptieren können, dass ihre Träume von Freiheit und Selbstbestimmtheit nichts anderes waren als Unsinn? Und wann würde die Sehnsucht in ihr, in Frieden und mit ihrer eigenen Hände Kraft für sich sorgen zu können, ein für alle Mal erlöschen? Und wann, wann, wann würde die Stimme ihrer Mutter, die ihr wieder und wieder sagte, dass sie etwas Besonderes war und dass ihr eigentlich ein anderes Leben zustand, in ihrem Kopf verstummen? Wann würde sie selbst endlich aufhören, Gott um Gnade anzuflehen und ihn zu fragen, welchen Weg er ihr aufzeigen wollte? Doch warum sollte der Herr einer wie ihr überhaupt zuhören?
Ein Knarren hallte durch den Keller, und das Schlurfen von Sohlen auf den Stufen der Treppe war zu hören. Anna nahm es wahr, doch kümmerte es sie kaum mehr. Plötzlich wurde der Riegel zu ihrer Kammer zurückgeschoben, und ein Lichtschein erhellte den Raum.
»Ich darf nicht mit Euch sprechen. Ihr seid eine Hexe und steht mit dem Teufel im Bunde, das weiß ich.«
Annas Pulsschlag beschleunigte sich. »Bruder Adolfus?«
»Ich darf nicht mit Euch sprechen! Bleibt, wo Ihr seid, damit ich den Eimer holen kann.«
»Seid Ihr ab jetzt mein Bewacher, Bruder Adolfus?«
»Ich darf nicht mit Euch sprechen!«
»Habt Dank, Bruder Adolfus, dass Ihr Euch um mich kümmert. Was ist mit Bruder Ignazius?«
»Er liegt mit Fieber, und sicher wart Ihr diejenige, die ihn verhext hat.«
»Ich soll ihn verhext haben? Ich bin ja nicht mal …« Sie brach ab. Sich verteidigen zu wollen würde nur seinen Widerstand ihr gegenüber verstärken. »Ich bete ebenso zum Herrn wie Ihr, Bruder Adolfus. Und ich werde beim Herrn dafür beten, dass er Bruder Ignazius alsbald gesunden lassen möge.«
Adolfus blieb stehen und sah sie an.
»Ihr wart es doch, die ihn verflucht hat«, schimpfte er aufgebracht.
»Wer dies Euch auch immer gesagt hat, spricht nicht die Wahrheit.« Anna wägte ihre nächsten Worte genau ab, als sie das trotzige Funkeln in seinen Augen sah.
»Aber sicher glaubt derjenige, der Euch gesagt hat, ich hätte Bruder Ignazius verhext, dass er die Wahrheit sagt. Doch so ist es nicht.«
Er beäugte sie weiterhin misstrauisch, aber es schien Anna, dass er über ihre Worte nachdachte. »Ich habe einen Verdacht«, brachte sie verschwörerisch hervor.
Bruder Adolfus sah sie an.
»Was für einen Verdacht?«
Anna musste sich zusammenreißen, um ihm ihre Erleichterung darüber, dass er ihr zuhörte, nicht allzu sehr zu zeigen. »Ich vermute,
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