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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
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Gesichter der Ratsherren wandern.
    Egidius wurde unruhig. Schon immer hatte sein Bruder ihn zu durchschauen vermocht. Er war auf der Hut. Wenn er sich jetzt allzu deutlich zu Wort meldete, um das Geschehen vor dem Dom zu erklären, käme Cornelius ihm gewiss auf die Schliche. Nur würde er ihm dieses Mal, so nahm er sich vor, ganz sicher nicht ins Netz gehen. Zu oft schon war sein Temperament mit ihm durchgegangen, und er hatte sich um Kopf und Kragen geredet. Doch dieses Mal, dieses eine Mal, würde er sich zurücknehmen und das Geschehen unbeteiligt verfolgen.
    Eine Zeitlang sagte keiner etwas.
    »Ich meine«, fuhr Cornelius fort, »glaubt denn irgendeiner von uns wirklich, dass dieser nackte Nichtsnutz von selbst auf die Idee gekommen ist, solchen Unfug zu verbreiten?«
    »Du glaubst, er wurde dazu angestiftet?« Albrecht strich sich nachdenklich über den Bart.
    »Du etwa nicht?«, fragte Wyland erstaunt.
    Albrecht setzte sich gerade hin. Diese Möglichkeit war ihm bislang tatsächlich noch nicht in den Sinn gekommen.
    »Wer sollte denn etwas davon haben, wenn ein Nackter vor dem Gotteshaus von Tod, Teufel und Judenplage spricht?«, fragte Eberhard Hardevust, der zweite Bürgermeister der Stadt.
    »Nimm Tod und Teufel aus deiner Überlegung heraus und sieh, was übrig bleibt«, forderte Cornelius.
    »Ihr glaubt, es geht nur um die Juden?«
    Wyland nickte zustimmend, erst zögerlich, dann entschieden.
    »Das glaube ich nicht.« Egidius konnte sich nicht länger zurückhalten. Die Sitzung entwickelte sich in eine Richtung, die ihm ganz und gar nicht gefiel. Ganz gleich ob er sich dadurch verdächtig machte, er musste einfach etwas dagegen tun.
    »So?« Wyland runzelte die Stirn. »Und weshalb glaubst du, diese Möglichkeit ausschließen zu können?«
    Egidius bemühte sich, seiner Stimme einen ruhigen, gelassenen Klang zu geben. »Die Menschen, die das Treiben beobachteten, waren doch eher von ihm abgestoßen. Und außerdem, welchen Zweck sollte jemand verfolgen, die Leute zum Aufstand gegen die Juden anzustiften?«
    »Das fragst ausgerechnet du?« Wyland war so heftig von seinem Stuhl aufgesprungen, dass dieser kippte und krachend zu Boden fiel.
    »Wie meinst du das?« Egidius funkelte ihn wütend an.
    Wyland atmete einmal tief durch, um seine Fassung zu bewahren. »Für keinen von uns hier ist es ein Geheimnis, wie du zu den Juden stehst.«
    »Willst du damit etwa sagen, dass ich diese Irren zu ihrer Vorstellung angestiftet habe?«, schrie Egidius auf einmal in den Saal hinein.
    Cornelius erschrak. Nicht wegen der Lautstärke, mit der sein Bruder die Worte geradezu aus sich herausgespien hatte. Nein. Er erschrak, weil er ihn lange und gut genug kannte, um zu wissen, dass Wyland den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Die Erkenntnis bestürzte ihn zutiefst. Er traute seinem Bruder viel zu, sehr viel sogar. Aber dass er so weit gehen würde … Solange er zurückdenken konnte, war sein Bruder immer verlogen und durchtrieben gewesen. Stets hatte er versucht, sich in ein besseres Licht zu rücken, hatte unwahre Geschichten erfunden und das Blaue vom Himmel heruntergelogen, um sich dadurch bei ihren Eltern einen Vorteil zu verschaffen. Oft, viel zu oft für Cornelius’ Geschmack, hatte seine Mutter ihre schützende Hand über Egidius gehalten. Nie hatte sie die Wahrheit sehen wollen. Das Kapital, um sich seinen eigenen Gewürzhandel aufzubauen, war zur Gänze von den Eltern gekommen. Cornelius hatte vor der Gründung seines Weinhandels die gleiche Summe Geldes erhalten, gewiss. Doch in den Folgejahren hatte Egidius immer wieder Geldbeträge erhalten, von denen Cornelius genau wusste, dass sie von seinen Eltern stammten. Warum sein älterer Bruder nicht in der Lage dazu war, sein Auskommen selbst zu bestreiten, hatte sich ihm nie erschlossen. Er war im Grunde keiner von denen, die übermäßig viel in Hurenhäuser gingen, ihren Gewinn verspielten oder allabendlich irgendwelche Männerrunden freihielten. Dennoch rann ihm das Geld durch die Finger. Eine Zeitlang, kurz nach seiner Heirat mit Mechthild, war es besser gewesen. Cornelius wusste nicht, wie groß ihre Mitgift gewesen war. Doch glaubte er, wenn er sie ansah, kaum, dass Egidius in Liebe zu ihr entbrannt gewesen war. Der Betrag, den sie mit in die Ehe gebracht hatte, dürfte daher nicht allzu gering ausgefallen sein.
    »… sie also nicht weiter festhalten?«, fragte Albrecht gerade, als Cornelius aus seinen Gedanken auftauchte und seine Aufmerksamkeit wieder

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