Die Duftnäherin
dieser noch am Leben sei, desto größer wäre die Möglichkeit, dass der Mörder einen Fehler machte.
»Wieso denn das? Der Mörder weiß doch, dass der Prediger tot ist«, gab Albrecht zu bedenken.
»Das schon«, stimmte Cornelius zu. »Aber wenn der Täter, wie wir vermuten, von einem Ratsherrn den Auftrag zu diesem Mord bekommen hat, dann ist es möglich, dass Letzterer noch nicht weiß, dass alles wie geplant verlaufen ist, und sich deshalb aus der Reserve locken lässt.«
»Du meinst, wir stellen dem Kerl, der hinter dem Ganzen steckt, eine Falle?«
Cornelius grinste schief. »Genau das. Du, Albrecht, nimmst dir den Henker vor. Droh ihm nötigenfalls, dass man ihn des Mordes beschuldigen wird, wenn er auch nur ein Wort nach draußen dringen lässt.« Er dachte kurz nach. »Wyland und ich werden währenddessen dem Schlüsselmeister einen Besuch abstatten. Wenn der Henker nicht dem Mörder den Kerkerschlüssel übergeben hat, muss es wohl oder übel der Schlüsselmeister gewesen sein. Es wird nicht schwer sein, ihn zum Reden zu bringen. Danach kommen wir wieder hier zusammen und bereden, wie es weitergehen soll.«
Die drei leerten ihre Krüge, dann verabschiedete sich Albrecht, und auch die beiden anderen machten sich kurz danach auf den Weg zum Schlüsselmeister. Unterwegs sprachen sie kaum ein Wort. Jeder hing seinen Gedanken nach, und schon bald erreichten sie die kleine Kate in der alten Tuchgasse, in der der Schlüsselmeister hauste. Das Fachwerkgebälk der schiefen Hausfassade schien sich gegen den Wind zu stemmen. Cornelius klopfte an die Eingangstür und wartete kurz. Dann klopfte er erneut, diesmal lauter und fordernder.
»Mach schon auf, Lambertus! Oder sollen wir dir die Haustür eintreten?«
Eine Marktfrau ging gerade vorbei und beschleunigte ihren Schritt, als sie Cornelius’ wütende Worte hörte.
»Er scheint nicht da zu sein.« Wyland runzelte die Stirn.
Cornelius drückte den Griff herunter, worauf sich die Tür knarrend öffnete. »Unverschlossen«, bemerkte er. »Ein Schlüsselmeister, der die Tür unverschlossen lässt?«
Auch Wyland beschlich ein ungutes Gefühl, als er nach Cornelius ins Innere des Häuschens trat.
Während draußen helllichter Tag war, umfing sie nun tiefste Dunkelheit. Weder drang durch ein Fenster Tageslicht in den Flur, noch wurde er von einer künstlichen Lichtquelle erhellt.
»Lambertus!«, brüllte Cornelius aus vollem Hals und lauschte. Doch keine Antwort, kein Geräusch ließ darauf schließen, dass sich jemand im Haus befand.
»Hier stimmt doch was nicht.« Wyland war neben Cornelius getreten. Beide blickten nun die Treppe hoch und warteten, ob sich dort oben nicht doch noch etwas rührte.
»Gehen wir hinauf?«, fragte Cornelius.
Wyland nickte. »Ich werde hochgehen. Sieh du dich derweil hier unten um. Vielleicht versteckt sich der Kerl ja vor uns.«
Während die Holzstufen unter dem Gewicht des Patriziers ächzten, ging Cornelius über den Flur auf eine verschlossene Tür zu und öffnete sie. Die Küche dahinter war genauso karg, wie es das Haus auf den ersten Blick vermuten ließ. Eine rußgeschwärzte Wand hinter der Herdstelle, an der einige Gerätschaften zum Kochen hingen, eine einfache Bank und ein Tisch stellten die gesamte Einrichtung dar. Eine weitere Tür führte von der Küche in einen kleinen Innenhof hinaus, wie Cornelius durch deren verschmutzten Fensterscheibeneinsatz erkennen konnte, der auch die einzige Lichtquelle in der Küche darstellte. Hier gab es nichts, wo man sich hätte verstecken können. Er machte kehrt und schloss die Tür hinter sich. Der zweite und letzte Raum, den man vom Flur aus begehen konnte, war eine Art Stube, die in ihrer Kargheit der Küche glich. Zwei Stühle, die ihre beste Zeit schon lange hinter sich hatten, standen neben einem Holztisch. Unter einem Fenster, dem einzigen im Raum, stand eine massive Truhe mit Eisenbeschlägen, die groß genug war, dass sich ein nicht allzu stämmiger Körper in ihr verbergen konnte. Eine Hand ans Heft seines Schwertes gelegt, durchmaß er das Zimmer mit vier großen Schritten und öffnete mit Schwung den Deckel der Truhe, der mit einem Scheppern gegen die Wand schlug. Doch am Boden der Truhe befand sich nur ein Stück Tuch, in dem ein Gegenstand in Form eines Codex eingewickelt war. Und zwei Dolche, die so exakt auf einem Stück Stoff nebeneinanderlagen, als hätte sie jemand mit großer Sorgfalt dort angeordnet. Das war alles. Der Patrizier ließ den Truhendeckel wieder
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