Die Dunkelgräfin: Das Geheimnis um die Tochter Marie Antoinettes (German Edition)
immer wissen konnte, ob ein Brief verloren gegangen war. Zu Beginn eines neuen Briefes fasste er zudem immer den Inhalt des vorangegangenen zusammen. Während Madame de Soucy wusste, dass ihre Briefe von der Polizei gelesen wurden, und sich entsprechend verhielt, scheint Hue davon keine Ahnung gehabt zu haben, auch wenn er vieles verklausuliert ausdrückt und man die Gedanken oft nur verstehen kann, wenn man die Zusammenhänge und den Inhalt der gesamten Korrespondenz durchschaut.
Madame Hue, die mit ihrem Sohn in Paris nur mithilfe der Familie und dem wenigen, was ihr Mann aus Wien schicken konnte, über die Runden kommen musste, war frustriert über die offenbar aussichtslosen Versuche ihres Mannes, bei Hofe in Wien eine Anstellung zu bekommen. Sie schrieb am 12. 5. 1796: »Es scheint mir unmöglich, dass du so erfolglos sein könntest und dass sie [die Prinzessin, Anm. d. Autorin] dir nicht ein einziges Zeichen, schmeichelhaft und tröstlich, zukommen ließ; alles ist eine Täuschung in dieser Welt; die dir ein besseres Schicksal einbringen sollte als das, was du hast; dein Brief verstärkt meine Meinung über die Person, in die ich mein ganzes Vertrauen setzte; sie vergisst dich, lässt dich im Stich, verachtet dich vielleicht; ich erröte darüber nicht. Wenn man sich wie du verhalten hat, kann man der Undankbarkeit die Stirn bieten und der Intrige und der Verleumdung trotzen.« Seine Frau meinte, es sei ein Unglück, dass ihr Mann in dieses Land geführt wurde, um »fallen gelassen zu werden, in die Ecke gedrängt, eines Verbrechens verdächtigt, von dem dein Verhalten sich ständig distanziert hat«.
Welches aber war das Verbrechen, dessen man ihn anklagte?
Madame Hue fährt fort: »Dieses Gespinst aus Horror lässt einen gefrieren; sie versucht also ein neues Verbrechen und möchte dich verfolgen und dich in die Verzweiflung treiben, wenn es möglich wäre, und ihre Versuche führten zum Erfolg, dass du angeklagt, selbst verdächtigt wurdest …« Diesmal ist mit dem »sie« Madame de Soucy gemeint, die ausgewiesen wurde, weil man sie für eine Republikanerin hielt, mitverantwortlich für die Vertauschung der Prinzessin.
Hue wurde durch seinen Ruf als guter Royalist bis zu einem gewissen Punkt geschützt. Aber die Überwachung seines Briefwechsels zeigt, dass man ihm nicht ganz traute. Immerhin war seine Frau mit der Frau des Innenministers Bénézech, der den Austausch organisiert hatte, gut bekannt, und Hue reiste wie Madame de Soucy im offiziellen Auftrag der französischen Regierung. Madame Hue rät ihrem Mann dringend, Wien zu verlassen und zurückzukommen: »Du musst fliehen, ohne anzuklagen, und dich flüchten in den Schoß der Freundschaft … du bist verdammt, eine empörende Erniedrigung hinzunehmen; ich rate dir und flehe dich an, aus diesem Zustand herauszutreten.« 2
Hue aber hoffte weiter. Er wollte abwarten, um irgendwann eine Vergütung für seine langen Leiden zu bekommen, »aber ich darf nichts provozieren, vielleicht wird die Zeit mich ans Ziel meiner Wünsche bringen – niemals, nein niemals wird diejenige, für die ich das Unmögliche getan habe, mir Ersatz bieten können für die bitteren Tränen, die ich um ihr Schicksal vergossen habe«. 3
Auf den Rat des Kardinals de La Fare, der sein Vertrauter geworden war, traf er sich mit Cléry, der sich ebenfalls in Wien aufhielt und von dort immer wieder mit Aufträgen zu Louis XVIII. nach Verona fuhr. Hue war ein wenig eifersüchtig auf ihn, weil er offenbar von Louis XVIII. und der Prinzessin bevorzugt wurde. Er langweilte sich furchtbar, saß viel in seinem Zimmer und schrieb an seinen Memoiren. »Ah, hätte ich die Art meiner gegenwärtigen Existenz vorausgesehen, so wäre ich nicht der Schöpfer meines eigenen Unglücks geworden, vor allem in einer Umgebung, die nicht geschaffen ist für die Sensibilität, die du an mir kennst. Mein Nachbar [Cléry, Anm. d. Autorin] arrangiert sich gut, verweigert sich wenig, man könnte sagen, er hat nur das Glück auf seiner Seite, seit er auf der Welt ist. Welch’ Unterschied zu der Bedrücktheit des Herzens, die ich vom Morgen bis zum Abend erfahre, und dem Ekel, die mir manchmal das Leben zur Last machen.«
Mitte Juni meldet er seiner Frau, dass er Madame gesehen habe. »Entweder täusche ich mich oder sie hat die Güte, sich für mich ein wenig zu interessieren.« 4 Diese Worte klingen auch nicht nach der echten Marie Thérèse, die sich noch ein halbes Jahr vorher so sehr für den
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