Die dunkle Armee
wenn man nach dem Tod aufgeweckt wird?«, fragte Kessian, nachdem sie eine Weile gelaufen waren.
Vor ihm stieg der Abhang steil auf, und dort oben warteten viele Leute in zwei Gruppen. Eine Gruppe war still, und rasch erkannte er, wer sie waren. Die zweite Gruppe war größer und emsig damit beschäftigt, ein neues Lager aufzuschlagen. Dort brannten viele Feuer. Er konnte die Wärme beinahe fühlen, wenn er nur den Schein sah und die lebhaften Energiebahnen in der Luft wahrnahm. Seine Mutter hatte ihn viel über das Feuer gelehrt. Er mochte die Flammen.
»Ich weiß nicht«, antwortete Gorian. »Das ist eine gute Frage. Wir können dies zusammen erforschen. Was hältst du davon?«
»Warum fragen wir nicht einen von ihnen?«, fragte Kessian.
»Sie werden uns nicht sagen, was sie denken«, erwiderte Gorian.
»Warum nicht?«
»Sie müssen nicht sprechen, um zu tun, was sie tun sollen. Aber was denkst du, wie jemand sich fühlt, dessen letzte Erinnerungen sich um den Tod drehen, und dann schlägt er auf einmal wieder auf Gottes gesegneter Erde die Augen auf?«
Kessian dachte eine Weile darüber nach. »Ich glaube, sie haben vielleicht Angst. Sie könnten denken, dies sei ihr nächster Zyklus auf der Erde, aber dann finden sie vielleicht, sie hätten Glück gehabt, im alten Zyklus noch eine Chance zu bekommen.«
Gorian kicherte. »Das denke ich auch. Deshalb ist es auch nicht notwendig, dass sie sprechen. Ich spreche für sie.«
Kessian schüttelte den Kopf, er begriff es nicht richtig. Gorian war seiner Sache sicher, und es gab Dinge, die er viel besser verstand als jeder andere. So liefen die beiden schweigend weiter. Kessians Blicke wanderten erneut zu den wiedererweckten Toten, die links von ihm stumm auf einer Anhöhe standen oder saßen. Zwischen ihnen und der regulären tsardonischen Armee blieb ein weiter Bereich frei.
Gorian führte sie nach rechts, was Kessian zu seiner eigenen Überraschung etwas enttäuschend fand. Er wollte jetzt gleich wissen, wie die Toten sich fühlten. Doch den König durfte man nicht warten lassen. Es war ein wenig wie eine Audienz bei der Advokatin. Die Herrscher stellten die Regeln auf.
Sie bahnten sich ihren Weg durch die tsardonische Armee. Kessian blieb dicht neben Gorian. Die Männer waren riesig und trugen dicke Pelze oder dunkle Rüstungen aus Metall und Leder. Ihre Stimmen klangen grob und kamen aus Mündern voller abgebrochener, verfaulter Zähne. Sie hatten schmierige, schmutzige Bartstoppeln.
Mit offensichtlichem Unbehagen beäugten sie Kessian und Gorian. Einige schienen sich zu fürchten, aber die meisten machten ihnen nicht einmal Platz. Einige stellten sich ihnen sogar absichtlich in den Weg. Gorian reagierte nicht darauf, sondern legte Kessian nur die Hand auf die Schulter und führte ihn durch das Lager. Er hielt auf einige prächtige Pavillons zu, über denen Banner flatterten. Sie standen ein wenig abseits vom Lager des Heeres.
Der König wärmte sich die Hände über einem Feuer und redete mit zwei anderen Männern. Kessian konnte sofort erkennen, dass er der König war. Seine Energien pulsierten stark und ruhig wie bei der Advokatin. Zwar trug er Kleider, die denen seiner Soldaten ähnlich waren, aber seine bestanden aus besseren Stoffen. Von der linken Schulter bis zur rechten Hüfte hing eine Goldkette, und er hatte sich einen schimmernden dunklen Mantel über die Schultern gelegt. Sein Gesicht war glatt rasiert, die mittelbraune Haut war sauber gewaschen und geölt, und seine Hände waren mit dicken goldenen Ringen geschmückt. Auf der Stirn trug er eine einzelne Tätowierung, die galoppierende Pferde zeigte.
»Er stammt aus einer vornehmen Familie der Steppenkavallerie«, erklärte Gorian auf Kessians Frage hin. »In Tsard zeigen die Adligen auf diese Weise ihre Abstammung.«
»Was geschieht, wenn er nicht mehr der König ist?«
»Ich glaube nicht, dass ihm schon jemals dieser Gedanke gekommen ist«, sagte Gorian.
Er ging direkt zum Feuer. Kein Wächter in der Nähe des Königs hielt sie auf oder würdigte sie auch nur eines zweiten Blicks. Der König bemerkte sie, entließ einen der Männer, die bei ihm waren, und nickte dem anderen zu, um ihn auf die Neuankömmlinge aufmerksam zu machen. Als der Mann sich umdrehte, stockte Kessian der Atem, weil er so hässlich war. Das Gesicht sah aus, als wäre es von einem Stein zerschmettert worden. Die kleinen Augen starrten ihn aus einem über und über mit Tätowierungen bedeckten Gesicht an. Kessian
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