Die dunkle Armee
untergegangen. Manche brachen jetzt erst durch die Oberfläche. Anderen, die weiter vorne waren, stand das Wasser nur noch bis zur Brust oder zu den Oberschenkeln. Immer mehr rückten nach und gesellten sich zu ihren Kameraden. Das Wasser tropfte aus den toten Körpern und aus offenen Mündern. Einige wurden vom Hustreiz geschüttelt, doch es war ein kehliges Geräusch, das nicht von einem Menschen zu kommen schien. Das waren die einzigen Laute, die die Toten bisher überhaupt von sich gegeben hatten.
Vom Abfluss her wuchs die Eisfläche wieder, dieses Mal jedoch etwas langsamer. Weitere Tote drängten sich am Abfluss und warteten auf den Marschbefehl. Harkov blickte zu den Gängen und Tunneln. Dort wurde nicht mehr gekämpft, nicht einmal das Brüllen eines Gorthocks durchbrach die Stille.
Harkovs Herz setzte beinahe aus.
»Mirron«, sagte er. Ihr Platz war verlassen, das Feuer rauchte leicht in der stillen Luft.
Jhered wandte sich an ihn. »Sie kann weder verbrennen noch ertrinken, und wenn sie den Einschlag überlebt hat, dürfte ihr nichts passiert sein.«
»Aber sie kann uns nicht helfen.«
Daraufhin schüttelte Jhered den Kopf. »Wer kann das schon?«
»Was sollen wir jetzt tun?«, fragte Harkov.
Erinnerungen an seine Familie erwachten. Es war gefährlich, sich jetzt solchen Gedanken hinzugeben. Er schob sie fort und klammerte sich an die Hoffnung, dass er überleben würde. Er wusste nur nicht, wie.
»Ich weiß auch nicht«, sagte Jhered. »Außer uns zu ergeben, fällt mir nichts ein.«
Harkov sah ihn scharf an. »Ist das Euer Ernst?«
»Es ist ein bitterer Trank, aber er könnte uns noch einen Tag erkaufen, wenn Gorian, oder wer auch immer die Toten kommandiert, uns zuhören will.«
»Das könnt Ihr nicht in Erwägung ziehen. Ihr habt doch gehört, was Harban sagte. Der Berg wird einstürzen.«
»Glaubt Ihr das wirklich, General? Das ist nur sinnbildlich gemeint. Es gibt dafür keine geologische oder physikalische Grundlage. Nehmt Euch zusammen.«
»Ich hätte auch nicht gedacht, dass die Toten umgehen oder die Aufgestiegenen die Elemente zähmen können.«
Jhered lächelte kurz und humorlos.
»Harkov, seht Euch um. Glaubt Ihr auch nur einen Augenblick, die Karku hätten den Mut, sich gegen diesen Feind zusammenzutun? Ich kann nicht einmal für unsere eigenen Leute die Hand ins Feuer legen.«
»Sie haben keine Wahl, sie können nicht fliehen. Das habt Ihr selbst gesagt.«
»Erzählt einem Mann, der in Panik gerät, etwas über Logik. Wie weit kommt Ihr wohl damit?«
Harkov blieb die Antwort im Hals stecken. Er wusste ja, dass Jhered recht hatte, und irgendwie wollte er sich an die letzten Reste der Hoffnung klammern, dass er vielleicht doch noch das Tageslicht wieder sehen würde. Die Gedanken an den Heldentod verblassten. Wie sollte es auch heldenhaft sein, in einer kalten, dunklen Höhle durch die Hand eines verwesenden Mannes zu sterben?
Wieder ertönten Schreie, die Kämpfer rannten aufgeregt umher, einige versuchten auch, die anderen zur Ordnung zu rufen. Harkov und Jhered hielten die Stellung und bemühten sich, die Dunkelheit zu durchdringen, die jedoch so tief war, dass sie kaum die Hand vor Augen sehen konnten. Der Tumult spielte sich vor allem hinter ihnen ab. Ein paar Gardisten des Aufstiegs waren in ihrer Nähe, aber die meisten verängstigten Verteidiger drängten sich am Schrein.
Endlich wurde Harkov bewusst, dass die Toten offenbar schon nach zwei Schritten wieder stehen geblieben waren. Auch den verschreckten Karku, die quälend langsam im Dunkeln umhertappten, dämmerte es allmählich, und erst jetzt waren Jhered und Harban in der Lage, die anderen mit ihren Rufen zu übertönen. So kehrte wieder Stille auf der Insel ein. Nur einige, die viel zu verängstigt waren, um mit guten Worten beruhigt zu werden, wimmerten leise. So warteten sie.
»Ihr seid besiegt, doch will ich Gnade walten lassen.« Die Stimme trug mühelos über das Eis und das Wasser.
»Gorian.« Jhered knirschte mit den Zähnen, und Harkov fuhr erschrocken auf. Der Schatzkanzler war voll kalter Wut.
Sonst war es völlig still. Es war schwer zu sagen, wie viele ihn hören konnten. Nicht viele, aber genug. Und alle erkannten die Stimme des Bösen.
»Ich werde so oder so an mich nehmen, was ich holen will. Ihr könnt lediglich entscheiden, auf welche Art und Weise es geschehen wird.«
Die Stimme klang so ruhig, so gemessen. Sie schien durch die Luft zu schweben und das Ohr zu liebkosen. Gleichzeitig
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