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Die Dunkle Erinnerung

Die Dunkle Erinnerung

Titel: Die Dunkle Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Lewin
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gesagt, dass der Junge eine Nervensäge ist, die man loswerden muss? Oder waren es Roy und Mom zusammen?«
    »Nichts im Verhalten der Mutter weist auf eine Beteiligung hin.« Mitgefühl war eine von Cathys Stärken und zugleich ihre Schwäche. Familienangehörige beschuldigte sie stets als Letzte. Wo Cathy von Unschuld ausging, sah Alec Schuld. Beide Betrachtungsweisen waren für sich genommen problematisch. Doch in diesem Fall …
    »Ja, ich muss dir Recht geben«, sagte er.
    Es gibt gewisse Verhaltensmuster, die zu Tage treten, wenn ein Kind von einem Familienangehörigen ermordet worden ist. Beispielsweise, wenn eine Mutter den Begriff ›Kidnapping‹ zu früh benutzt – zu einem Zeitpunkt, an dem Eltern diese Möglichkeit normalerweise noch gar nicht in Erwägung ziehen. Oder ein Vater will seine Sache zu gut machen und bringt falsche Anschuldigungen gegen Entführer vor, berichtet zu detailliert von ihren Forderungen. Vielleicht schickt er gar einen Brief an sich selbst oder ein persönliches Besitzstück des Kindes an die Polizei, um zu beweisen, dass es sich um eine Entführung handelt. Das aber würde nur ein Kidnapper tun, der auf Lösegeld aus ist.
    Und Lösegeld kam im vorliegenden Fall nicht infrage.
    Ellen war allein erziehende Mutter, die in einer Spelunke im Süden Baltimores jobbte und bei Kerlen Drinks schnorrte. Mit der Miete für ihr baufälliges Reihenhaus war sie chronisch im Rückstand. Und Alec vermutete, dass die ständig wechselnden Männer in ihrem Bett eher Freier waren als Freunde.
    Auch sonst hatten Ellen und Roy keinerlei Anzeichen für ein Verbrechen an Cody erkennen lassen. Sicher, es hatte Reibereien zwischen Roy und Cody gegeben, aber das allein machte Roy noch nicht des Mordes verdächtig. Oder des erfolgreichen Vertuschens.
    »Die kommen mir einfach nicht clever genug vor«, meinte Alec. »Aber ausschließen können wir die Möglichkeit nicht.« Er wollte Cathy nicht mit seiner Meinung überfahren; sie sollte unvoreingenommen alle denkbaren Szenarien durchexerzieren können. »Aber nimm sie ein bisschen härter in die Mangel. Vielleicht wissen sie doch mehr, als sie zugeben. Lass den Lügendetektortest machen.«
    »Haben sie bereits abgelehnt.«
    »Dann finde heraus, mit welcher Begründung. Wenn sie die Wahrheit sagen, sollten sie mit dem Test einverstanden sein.«
    »Du bist der Boss.«
    »Was ist mit dem leiblichen Vater?«, fuhr Alec fort. »Hast du den gefunden?« Der Mann hatte die Familie verlassen, als Cody vier war, und Ellen hatte angeblich nichts mehr von ihm gehört oder gesehen.
    »Noch nicht, aber wir arbeiten daran.«
    »Obwohl ich nicht glaube, dass er etwas mit der Sache zu tun hat.« Männer, die ihre Familien im Stich ließen, pflegten nicht Jahre später aufzutauchen und ihre eigenen Kinder zu entführen. »Aber wir müssen sichergehen.«
    »Wir werden ihn finden.«
    Alec schaute zu, wie Cathy die neuen Erkenntnisse auf der Schautafel eintrug; sie machte eine Klammer um die Namen Ellen und Roy, zeichnete einen Pfeil zum Wort ›Lügendetektor‹ und setzte ein Fragezeichen dahinter. Als sie fertig war, brachte Alec eine andere Theorie zur Sprache. »Cody könnte von zu Hause weggelaufen sein, falls die Probleme mit Roy tatsächlich so schlimm waren. Vielleicht hat er sich gesagt, jetzt reicht's, und sich aus dem Staub gemacht.«
    »Das meint auch die örtliche Polizei«, sagte Cathy, schraubte die Kappe auf den Filzstift und ließ ihn auf einen anderen Tisch fallen. »Und es wäre nicht das erste Mal.«
    Cody war im letzten Jahr dreimal davongelaufen; deshalb hatte man zur Bearbeitung des Falles auch nicht so viele Leute herangezogen. Die Ortspolizei glaubte nicht an eine Entführung, doch der Fall war in den Medien hochgespielt worden, und so hatten die Beamten schließlich doch das FBI eingeschaltet.
    »Und was glaubst du?«, fragte Alec, der es Cathy viel eher als den überarbeiteten Polizisten zutraute, sich in die Psyche von Kindern hineinzuversetzen.
    Sie zögerte einen Moment, erwog sorgfältig ihre Antwort. »Wenn er weggelaufen ist, dann bestimmt ganz spontan. Denn von seinen Sachen fehlt nichts, wie seine Mutter sagt.« Cathy verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe auch in seinem Zimmer nachgesehen. Ich glaube nicht, dass die Mutter lügt. Er hat seine Kleidung dagelassen, seinen Walkman und einen geheimen Schatz unter seiner Matratze – zweihundert Dollar. Keine Ahnung, wie er an so viel Geld herangekommen ist. Jedenfalls ist alles noch

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