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Die Dunkle Erinnerung

Die Dunkle Erinnerung

Titel: Die Dunkle Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Lewin
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hatte so lange geweint, bis sie eingeschlafen war. Ein Passant entdeckte das kleine Mädchen durch Zufall und alarmierte die Polizei.
    Alles war ein Irrtum gewesen.
    Dem Mädchen ging es gut. Es war unverletzt und mittlerweile in Sicherheit bei seiner Familie. Der Mann, den Erin im Park gesehen hatte, war ein Eisverkäufer gewesen. Nicht mehr und nicht weniger. Das war zumindest die Meinung der Behörden.
    Erin hingegen war nicht so leicht zu überzeugen.
    Ihrer Meinung nach hatte die Polizei den Fall zu früh und überstürzt abgeschlossen. Es gab zu viele offene Fragen, zu viele logische Sprünge. Wie konnte eine Fünfjährige so weit vom Spielplatz entfernt herumlaufen, ohne dass ein Erwachsener auf sie aufmerksam wurde? Was war mit Al Beckwith, der zugegeben hatte, seinen Eiswagen einem anderen Mann übergeben zu haben, dem Freund eines Freundes, der ihn für die Überlassung bezahlt hatte?
    Nein, Beckwith hatte den Mann nicht persönlich gekannt. Auch seine Beschreibung passte auf einen ganz anderen Menschen und nicht auf den Magier, den Erin gesehen hatte. Außerdem gehörte es nicht zu seinen Gewohnheiten, seinen Karren abzugeben, um einen Tag blauzumachen. Und weder Beckwith noch die Polizei hatten den Mann ausfindig machen können, der sich Beckwiths Karren geliehen hatte. Er war verschwunden.
    Das, fand Erin, war ein bisschen zu viel des Guten. Doch die Polizei gab sich damit zufrieden.
    Selbst Donovan war anscheinend zufrieden gewesen. Er wollte sie beruhigen und behauptete, er werde Beckwiths Story nach seiner Rückkehr nach Baltimore überprüfen. Doch Erin glaubte ihm nicht. Nicht, dass er log, aber er war mit den Ermittlungen im Fall Cody Sanders betraut und würde schwerlich für andere Dinge Zeit haben. Der einzige Grund für sein Interesse an der Suche nach Chelsea Madden hatte offenbar darin bestanden, dass er eine Verbindung zwischen beiden Fällen vermutete.
    Das aber änderte nichts an dem, was Erin wusste. Oder nicht wusste.
    Zum Beispiel glaubte sie – auch wenn sie nicht wusste, wie der Täter dies bewältigt hatte –, dass Chelsea tatsächlich aus dem Park entführt wurde, später jedoch ausgesetzt worden war.
    Warum?
    Erin hatte keine Ahnung, doch in der Person des Täters war sie ganz sicher. Sie kannte weder seinen Namen noch sein wahres Aussehen, aber sie kannte seine Bewegungen. Diese flinken Hände, die Münzen aus dem Nichts erscheinen ließen … Er war viel zu geschickt und geschmeidig für einen Dilettanten, er beherrschte seine Kunst. Und daran würde sie ihn erkennen.
    Momentan war ihr der Schlaf das Wichtigste, doch genau der wollte sich nicht einstellen. Dabei hatte sie morgen einen schweren Tag vor sich. Sonntags fuhren Janie, Marta und Erin immer zu Claire. Erin brauchte einen klaren Kopf für das Zusammentreffen mit ihrer Schwester. Doch leider ist das, was man braucht, oft nicht leicht zu erlangen.
    Als die Nacht dem Morgengrauen wich, gab Erin ihre Hoffnung auf Schlaf endgültig auf und beschloss, heute eben besonders früh zu laufen. Mit der körperlichen Erschöpfung waren vielleicht doch noch ein paar Stunden Schlaf drin, bevor sie zu Claire fuhren.
    Als Erin vor die Haustür trat, war es noch dunkel. In der Nacht war ein wenig Regen gefallen, der nun als dünner Nebel über dem Pflaster waberte. Ein kühler Wind, in dem schon eine Ahnung von Herbst lag, fächelte angenehm um ihr Gesicht. Das gab ihr Kraft. Erin ließ die Aufwärmübungen ausfallen und setzte sich im langsamen Laufschritt in Bewegung. Sie spürte, wie ihre Muskeln arbeiteten und den müden Geist belebten.
    Sie lief durch stille Vorstadtstraßen. Der Morgennebel schwebte wie ein Hauch der Erwartung des kommenden Tages über dem Asphalt. Noch eine Stunde, und die Straßen würden voller Leben sein. Zeitungsjungen und Straßenfeger würden ihrer Arbeit nachgehen, die Bäckerei an der Ecke würde ihre Rollläden hochziehen, und die Verkäufer würden zu den Läden und Geschäften eilen.
    Doch jetzt war Erin allein. Feine Atemwölkchen drangen aus ihrem Mund. In stetem Rhythmus klatschten die Laufschuhe auf den Bürgersteig, und ihr Herz schlug gleichmäßig. Laufen. Eine unveränderliche Konstante in Erins Leben, in ihrer beruhigenden Wirkung mit nichts vergleichbar.
    Erin ließ das Parktor hinter sich und wandte sich dem Joggingpfad am Wasser zu. Auf dem Spielplatz befanden sich Überreste von der gestrigen Suchaktion. Kaffeebecher und Zigarettenkippen bedeckten den zertrampelten Boden. Von einem Baum

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