Die Dunkle Erinnerung
Schon vergessen?«
»Ach so, ja. Nun, das könnte ein Problem werden.« Cole schenkte Erin ein strahlendes Lächeln. Was für eine Verschwendung, dachte sie. Er war ein sehr gut aussehender Bursche. »Also, wer ist der Glückliche?«
»General Neville. Ist er überhaupt da?«
»Oh. Sie haben Geschmack. Ein attraktiver, wenn auch ein wenig harter Mann. Und reich noch dazu.« Sebastian nickte zum Empfang hin. »Er ist vor ein paar Minuten eingetroffen. Kommen Sie, ich stelle Sie vor.« Er nahm Erins Arm und führte sie zur Tür. Als sie den Saal betraten, fuhr er fort: »Eines müssen Sie allerdings über den General wissen, Erin.«
Sie sah zu ihrem Begleiter auf, dessen Stimme plötzlich ernst geworden war. »Und zwar?«
»Er pflegt direkt aufs Ziel zuzusteuern.« Nun sah er Erin scharf in die Augen. Seine gewohnte Lässigkeit war von ihm abgefallen. »Am besten kommen Sie mit ihm zurecht, wenn Sie es auch so halten. Wenn Sie um den heißen Brei herumreden, frisst er Sie auf.«
Erin hatte kaum Zeit, die Information zu verdauen, als sie auch schon neben General William Neville standen, der von einer Gruppe Gentlemen umgeben war.
»Verzeihung, General, wir haben Sie gesucht«, begann Sebastian. »Diese reizende Dame müssen Sie unbedingt kennen lernen.« Er gab Erins Arm frei. »Das ist Dr. Erin Baker. Sie unterrichtet in Georgetown. Wie ich hörte, ist sie Expertin auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen. Das ist doch auch Ihr Steckenpferd.«
Neville lächelte ein schrecklich kaltes Lächeln. Dann streckte er die Hand aus. »Wir kennen uns doch.«
Erin ergriff seine dargebotene Hand. »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie sich an mich erinnern.«
»Wer könnte eine so schöne Frau vergessen?« Auch dem Kompliment fehlte jegliche Wärme.
»Ich bin sicher, dass Sie von schönen Frauen regelrecht belagert werden, General.«
Neville zuckte die Achseln. Erins Schmeichelei ließ ihn kalt. Dann wandte er sich den anderen Männern zu. »Wir reden später weiter.«
Sebastian verstand den Hinweis, die beiden ebenfalls allein zu lassen. »Na, dann lernt euch mal kennen«, sagte er. »Ich bin drüben an der Bar, falls ihr mich braucht.«
Als er fort war, sagte Neville: »Nun, wem verdanke ich dieses Vergnügen, Miss Baker? Sicherlich haben Sie diesen Clown Cole doch nicht um eine Vorstellung gebeten, weil Sie mir schmeicheln wollten?«
»Das liegt gewiss nicht in meiner Absicht, General.« Erin zögerte und erwog ihre Strategie, dann beschloss sie, Sebastians Rat zu folgen und den direkten Weg einzuschlagen. Ein Mann wie Neville, der sein Firmenimperium auf den Ruinen eines zerbröckelnden Familienbesitzes aufgebaut hatte, besaß gewiss ein erhebliches Maß an Arroganz. Vermutlich war er sogar davon überzeugt, über den Gesetzen zu stehen. Wenn Erin dies geschickt ausnutzte, würde sie vielleicht etwas erfahren. »Ich wollte mit Ihnen über etwas ganz anderes sprechen.«
»Und das wäre?«
»Vor einiger Zeit habe ich Nachforschungen angestellt und bin dabei auf interessante Informationen über Sie gestoßen.«
»Ach ja?« Immer noch höflich.
»Es war eher zufällig. Mein Arbeitsgebiet sind die Kulturen des Nahen Ostens. Ich habe mich mit Import und Export in Saudi-Arabien beschäftigt.« Erin wartete auf eine Reaktion, und sei sie noch so gering – ein Zucken der Augen, ein veränderter Blick. Doch sie sah nichts dergleichen.
Blitzschnell überdachte sie ihre Strategie. Wenn sie sich irrte, was Neville betraf, konnte das schlimme Folgen haben. Ihn direkt zu konfrontieren war ein Risiko, das Donovans Ermittlungen in Gefahr bringen konnte. Vielleicht war dies der richtige Zeitpunkt, von einem weiteren Vorstoß abzusehen. Ein Schritt mehr, und es konnte zu spät sein.
Andererseits mussten sie unbedingt erfahren, ob Neville etwas mit Codys Verschwinden zu tun hatte, und im Augenblick hatten sie nichts in der Hand als den vagen Hinweis auf das Sklavenschiff und den Magician und eine Menge Indizienbeweise, die den General mit Sklavenmärkten rund um die Welt in Verbindung brachten.
Erin musste es wagen.
»Ich bin bei meinen Recherchen auf ein Schiff gestoßen, das von der US-Regierung beschlagnahmt wurde. Das war vor drei Jahren.« Sie legte eine kleine Pause ein, als wolle sie ihm Zeit geben, sich zu erinnern. »Die Desert Sun.«
Neville blinzelte nicht einmal. »Und weshalb erzählen Sie mir das?«
»Das Schiff gehörte Ihrer Transportfirma.«
»Verstehe.« Der General ließ den Blick durch den Saal
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