Die Dunkle Erinnerung
Fluchtwegs.
Und wieder hatten sie Glück.
Sie schafften es bis zur Tür, die Ryan entriegelte, so leise er konnte. Dann drückte er sie behutsam auf, schob Cody hindurch und schloss die Tür wieder. Anschließend legte er sorgfältig den Riegel vor. Nun standen sie auf der breiten Veranda an der Rückseite des Hauses, wo das Küchenpersonal angelieferte Waren in Empfang nahm. Vor sich sahen sie eine weite Rasenfläche, von dichtem Wald umschlossen.
»Und jetzt?«, fragte Cody.
»Jetzt hoffen wir mal, dass die Hunde eingeschlafen sind.« Cody sollte nichts von dem Gift wissen. »Wenn ja, müssen wir nur noch den Wald durchqueren. Dahinter ist eine Mauer, dann kommt die Straße. Danach sind's, glaub ich, noch ein paar Meilen bis zur Hauptstraße. Ab da können wir trampen.« Ryan hätte sich niemals träumen lassen, dass er so etwas tun würde. Einmal hatte er die Köchin zum Markt begleiten dürfen und bei dieser Gelegenheit auf der Landstraße einen einsamen Anhalter gesehen, der mit hochgerecktem Daumen dastand. Was der Typ konnte, konnten sie auch.
»Weißt du denn, wo wir sind?«
»Nicht so genau, aber ich hab die Diener belauscht. Und die haben was von Ländereien ums Herrenhaus erzählt.«
»Und was ist, wenn die Hunde nicht eingeschlafen sind?«
Ryan hob die Schultern und versuchte, einen Gleichmut zu zeigen, den er nicht empfand. »Sie kennen mich.« Nicht, dass es einen Unterschied machen würde. Die Hunde würden ihn zerreißen wie jeden x-beliebigen Fremden. Aber auch das brauchte Cody nicht zu erfahren. »Ich versuch, sie aufzuhalten, während du wegrennst. Okay?«
Cody nickte, er wirkte eher eifrig als verängstigt. Offenbar roch er die Freiheit. Nichts anderes zählte.
Nebeneinander stiegen sie die Treppe hinunter. Ryan holte tief Luft, schaute den Jüngeren an und befahl: »Los!«
Sie flitzten über den Rasen. Der kalte Nachtwind schlug ihnen ins Gesicht, und das feuchte Gras war schlüpfrig und hinderte sie beim Laufen.
Ryan spürte jeden Schritt schmerzhaft an den Rippen, achtete aber nicht darauf. Wenn Trader sie erwischte, würde es ihm weit schlimmer ergehen. Also biss er die Zähne zusammen und zwang sich, nur auf den Wald zu achten, dessen schützende Dunkelheit mit jedem Schritt näher kam.
Bald hatten sie die halbe Wiese hinter sich gelassen. Ryan konnte nun einzelne Bäume und Unterholz erkennen, ausgezeichnete Verstecke. Sie würden es schaffen!
Fast waren sie angelangt, als er aus dem Augenwinkel eine blitzschnelle Bewegung sah. Etwas huschte dahin … rannte auf vier Beinen … kam auf sie zu.
Ryan rutschte, fiel hin.
Cody packte seinen Arm. »Ich dachte, du hast die Hunde eingeschläfert.«
Ryan kam wieder auf die Beine und drängte den Jungen in Richtung Wald. »Lauf! Mach, dass du zu den Bäumen kommst …«
Der Hund prallte gegen Ryan und fällte ihn mit einem einzigen kraftvollen Sprung. Der Anprall ließ sämtliche Luft aus seinen Lungen entweichen. Er wollte Cody zurufen, dass er laufen solle, schaffte es aber nicht mehr. Stattdessen riss er die Arme über den Kopf, um sich vor den Reißzähnen zu schützen.
»Weg! Weg!«, schrie Cody.
Ryan sah auf. Der Junge ging mit einem Stock auf den Hund los und ließ ihn mit voller Wucht auf den Rücken des Tieres niedersausen.
Der Hund fuhr herum und griff nun den kleineren Jungen an.
Ryan warf sich nach vorn und packte das 'Tier an den Hinterläufen, bevor es Cody angreifen konnte. »Mach, dass du wegkommst!«, schrie er, während der Hund zu ihm herumfuhr und die Zähne in seinen Arm schlug.
Ryan schrie vor Schmerz. Dunkelheit drohte ihn zu verschlingen, und er kämpfte gegen die Bewusstlosigkeit an. Er musste den Hund von Cody fern halten. Das Tier würde den Kleinen in Stücke reißen.
Plötzlich ließ der Hund los.
Durch Schmerzensschleier sah Ryan, wie Cody den Hund erneut schlug. Er reizte das heimtückische Tier, das ihn mit gebleckten Zähnen anknurrte.
»Bist du wahnsinnig?«, heulte Ryan.
»Steh auf, ich kann ihn aufhalten.«
»Nein …« Ryan erhob sich, um die Aufmerksamkeit des Hundes auf sich zu ziehen. Zu spät. Das Tier sprang Cody an.
Und starb mitten im Sprung. Eine Kugel riss ihm ein Loch in die Seite.
Ryan brach vor Schmerz zusammen. »Lauf!«, sagte er, aber Cody war bereits an seiner Seite und blieb dort, bis die Wächter ihn fortzogen. Bevor Ryan das Bewusstsein verlor, galt sein letzter Gedanke dem Rattengift. Offenbar war es doch nicht genug gewesen.
19.
»Ist sie völlig verrückt
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