Die Dunkle Erinnerung
dass sie ein solches Wagnis eingegangen war und nicht nur Cody, sondern auch sich selber in Gefahr gebracht hatte. Dennoch konnte er nicht umhin, ihre Logik und ihren Mut zu bewundern. »Haben Sie's geschafft?«
»Es reicht zu wissen, dass Neville involviert ist. Daran besteht kein Zweifel.«
Sie war sich ihrer Sache immer so sicher! Alec fragte sich, ob sie diese Eigenschaft bei der CIA erworben oder schon vorher besessen hatte. Wie dem auch sei – mit der Zeit würde sich herausstellen, ob ihr Verhalten einen Erfolg oder eine Bruchlandung bewirkte und ob Cody damit geholfen wäre. Alec konnte nur hoffen und beten, dass Erin letztlich als Heldin dastehen würde. Doch unterdessen hatte sie Dinge in Gang gesetzt, die er nicht aufhalten konnte. Und er musste schleunigst etwas tun.
»Falls Neville Cody gefangen hält, wird er ihn jetzt woanders hinbringen.«
»Und wir können ihn dabei beobachten«, meinte Erin.
Wieder senkte sich Schweigen zwischen sie. In einiger Entfernung ragte das dezent beleuchtete Denkmal für die Veteranen des Koreakrieges empor. Irgendwie hätte Alec lieber in einem solchen Krieg gekämpft – in einem Krieg, wo man den Gegner sah, ein Krieg, in dem der Weg zum Sieg bereits vorgezeichnet war.
»Also, was wollen wir tun?«, fragte Erin.
Nichts.
Wenn er ehrlich war, musste Alec zugeben, dass es in dieser Ermittlung niemals ein ›Wir‹ hätte geben dürfen. Er war das Risiko eingegangen, weil diese Frau ihm bei der Suche nach einem vermissten Kind helfen konnte. Inzwischen wusste er nicht, ob er damit die beste oder die schlimmste Entscheidung seiner Laufbahn getroffen hatte. Aber es war nicht Erins Schuld, sondern seine eigene. Und nun war es höchste Zeit, dass er sie von der weiteren Ermittlung ausschloss. Er hatte ihren Vorschlag aufgegriffen und sich auf Neville konzentriert, doch nun hatten andere Dinge Vorrang: Er musste Cody Sanders finden, ohne weitere Umwege zu fahren.
Doch bevor Alec seine Gedanken in Worte fassen konnte, kam Erin ihm zuvor. »Wie halten Sie das nur aus?«, wollte sie wissen.
»Wie bitte?« Alec starrte sie an, er wusste nicht, was sie meinte.
»Wie halten Sie es aus, ständig auf der Suche nach vermissten Kindern zu sein?«, präzisierte Erin ihre Frage.
»Ach so.« Alec seufzte und ließ sich schwer gegen die harte Holzlehne fallen. »Manchmal weiß ich das selbst nicht so genau. Aber einer muss es nun mal tun«, fügte er mit einem Achselzucken hinzu.
»Aber ist das nicht …« Erin zögerte, als suchte sie nach den richtigen Worten. »Macht Sie das nicht fertig?«
Alec musterte sie. Er dachte an ihre Schwester und seine eigenen Überlegungen, die CAC-Spezialeinheit zu verlassen. »Ja, schon.«
Erin wandte sich ab und ließ das Schweigen einige Minuten lasten. Alec glaubte schon, nun hätten ihre Fragen ein Ende, als sie wissen wollte: »Wollten Sie schon immer FBI-Agent sein?«
Alec musste lachen. Er schlug die Beine übereinander. »Ehrlich gesagt, stand das ziemlich weit oben auf der Liste der Dinge, die ich nicht wollte.«
»Wirklich?« Sie warf ihm einen Blick zu. »Was stand denn ganz oben?«
»Cop. Ich wollte auf keinen Fall Cop werden.«
Erin lachte. Wieder fiel Alec auf, wie schön ihr Lachen war. »Wieso denn das?«
»Wollen Sie das wirklich wissen?« Alec fragte sich, woher dieses plötzliche Interesse rührte.
Erin nickte. »Erzählen Sie es mir.«
Alec kam ihrer Aufforderung nach, ein wenig Ablenkung konnte nicht schaden. »Nun, ich komme aus einer Familie von Polizisten. Und es ist eine große Familie. Mein Dad und seine drei Brüder waren Cops, mein Großvater ebenfalls. Von meinen fünf Brüdern sind drei zur Polizei gegangen. Und nicht zu vergessen meine Schwester Emily, die Schlimmste von dem ganzen Haufen.«
»Ich mag sie jetzt schon.«
Alec grinste sie an. »Ja, das kann ich mir gut vorstellen.« Er dachte an seine Schwester, die Kratzbürste, die sich immer erfolgreich gegen sechs Brüder durchgesetzt hatte. Sie und Erin Baker würden ein gefährliches Gespann abgeben. »Emily würde Sie mögen.« Ihm wurde bewusst, dass er die beiden gern miteinander bekannt machen würde. Unter anderen Umständen – hätten sie sich zu passenderer Zeit und an einem anderen Ort kennen gelernt – hätte er nichts lieber getan, als Erin Baker seiner Familie vorzustellen. »Jedenfalls, ich hatte geschworen, dass ich niemals Cop sein wollte.«
Erin schüttelte ein wenig traurig den Kopf. »Ich könnte mir gar nicht vorstellen, so
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