Die Dunkle Erinnerung
saß und Berichte und Fotos vor sich ausgebreitet hatte.
»Hi«, sagte er.
Mit müden, trüben Augen schaute sie auf. »Selber hi.«
Alec ließ die dünne lederne Aktentasche auf einen Stuhl fallen und setzte sich auf die Tischkante. »Wo stecken die alle?«
»Hab sie nach Hause geschickt, damit sie mal ein bisschen Schlaf bekommen.«
»Hast du gut gemacht.« Im Grunde wäre das seine Aufgabe gewesen. »Siehst auch so aus, als könntest du 'ne Mütze Schlaf gebrauchen.«
»Muss eine Art Epidemie sein.«
»Ja.« Alec fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Er spürte die Müdigkeit bis in die Knochen. »Gibt's was Neues?«
»Wir haben das nach Erins und Beckwiths Angaben erstellte Phantombild durch unsere Datenbank gejagt und ein paar notorische Triebtäter gefunden, auf die die allgemeine Beschreibung passt. Jetzt sind wir dabei, sie zur Vernehmung vorzuladen.«
Alec beugte sich mit neu erwachtem Interesse vor. »Sehr gut.«
Cathy verschränkte die Arme vor der Brust und holte tief Luft. »Sieht aber nicht viel versprechend aus. Wenn der Gesuchte nicht dabei ist, haben wir nur noch mehr Spuren, die im Sand verlaufen.«
»Die hab ich auch.«
Cathy lehnte sich im Stuhl zurück und schaute ihn an. Dann griff sie unter einen Stapel Papiere, zog eine CD hervor und schob sie über den Tisch. »Hab mir das mal angehört.«
Alec stieß einen Seufzer aus. Es war eine digitale Kopie des Bandes, das sie auf der Botschaftsparty mitgeschnitten hatten. »Klar.« Cathy musste wirklich völlig erschöpft sein, sonst wäre sie in dem Moment, als er zur Tür hereinkam, über ihn hergefallen.
»Sie ist bei der CIA«, sagte Cathy ohne weitere Vorrede.
Alec ließ sich in den Stuhl ihr gegenüber fallen. »Das hatte ich mir schon gedacht. Woher hast du's erfahren?«
Wieder verschränkte sie die Arme. »Ich hab meine Quellen.«
»Und die haben hervorgesprudelt, dass Erin für die Firma arbeitet?«
Cathy rutschte im Stuhl herum und wandte den Blick ab. »Nein. Aber sie haben's auch nicht geleugnet.«
Was, wie Alec wusste, die größtmögliche Bestätigung war, die sie jemals erhalten würden. Doch er wusste nicht, ob er wegen dieser Information erleichtert oder besorgt sein sollte. Einerseits bedeutete es, dass Erin wissen musste, welch gefährliche Situation sie heraufbeschworen hatte, und dass sie auf sich aufpassen konnte. Andererseits enthielt die Geschichte vielleicht Dimensionen, die er gar nicht überblicken konnte.
»Alec, du steckst bis zum Hals drin«, mahnte Cathy. »Sie benutzt dich. Mann, vielleicht ist es die CIA, die dich benutzt!«
Diese Möglichkeit war nur zu real. Alec konnte unwissentlich ein Rädchen in irgendeinem wirren Plan sein und unwissentlich eine Rolle in einer wahnwitzigen Mission der CIA spielen. Diese Behörde war nicht gerade bekannt dafür, Informationen offen zu legen. Nicht einmal gegenüber dem FBI.
Doch irgendwie mochte Alec das nicht glauben. Sein Gefühl sagte ihm, dass Erin nur darauf aus war, den Entführer ihrer Schwester festzunageln. Die Firma hatte damit nichts zu tun.
»Du bist zu nah dran«, bohrte Cathy. »Zu nah an ihr. Du selber kannst das nicht erkennen, alle anderen aber schon.«
»Alle anderen?«
Plötzlich sah Cathy unbehaglich und schuldbewusst drein. Dann straffte sie die Schultern und blickte ihm fest in die Augen. »Ich habe mit Schultz gesprochen.«
»Scheiße.« Schultz war Alecs Supervisor.
»Es tut mir Leid«, begann sie, »aber …«
»Dir tut es Leid?« Alec hätte es kommen sehen müssen, doch auch so war es schwer zu verdauen. »Du bist hinter meinem Rücken zu Schultz gelaufen, und jetzt tut es dir Leid.« Sie waren ein Team, sie waren Partner. Stets hatten sie gegen die Schreibtischhengste, die sie wie Marionetten an Fäden führen wollten, zusammengehalten.
Nun wurde auch Cathy wütend, sie hatte seine Gedanken gelesen, als hätte er laut gesprochen. »Es geht doch nicht darum, ob ich mich dir gegenüber loyal verhalte. Es geht darum, dass wir einen kleinen Jungen finden müssen und dass der beste Ermittler des FBI ausgerechnet jetzt einen Burn-out haben muss.«
»Du hast Schultz erzählt, ich hätte einen Burn-out?«
Cathy richtete sich auf dem Stuhl auf. Es war deutlich zu sehen, wie sie sich beherrschte. »Nein. Ich habe gesagt, dass du meiner Meinung nach überarbeitet bist.«
»Hast du mal daran gedacht, dass ich vielleicht eine heiße Spur verfolge?«
»Ja. Bevor ich dieses Band gehört hatte, wollte ich im Zweifelsfall zu deinen
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