Die dunkle Horde - Die Troll-Saga ; [5]
noch bevor sich der Himmel im Osten hell färbte.
In der Stadt war sie vorsichtiger. Hier fehlte die Vertrautheit des Waldes, die ihr erlaubte, selbst in der Dunkelheit mit sicheren Schritten zu laufen. Voller Anspannung wartete sie darauf, dass sich die Sonne zeigte und ihr endlich Licht spendete.
Dann ging sie noch einmal durch die Straßen. Sie spürte jetzt, dass es hier etwas gab, etwas Wichtiges, auch wenn ihre Zweifel ihr einreden wollten, dass es nur ihre Dickköpfigkeit war, die sie vorantrieb. Obwohl die sicher auch eine Rolle spielte. Denn Deilava war nicht willens, den Weg, den sie für richtig hielt, einfach so zu verlassen. Zumindest nicht ohne Kampf.
Was sie sah, war so deprimierend wie beim ersten Mal. Keine Faser ihres Herzens hatte sich daran gewöhnt. Im Krieg waren viele abgestumpft. Die ständigen furchtbaren Momente hatten einander die Schärfe genommen, hatten Gefühle abgeschliffen, bis sie kaum noch vorhanden waren. Auch kein Mitgefühl mehr, kein Verständnis für Schmerzen, alles verloren, bis man selbst im Innersten wie tot war. Sie kannte diese Gefahr gut. Es war schwer, dem nicht nachzugeben. Wie oft hatte sie sich gewünscht, nichts mehr fühlen zu müssen. Aber dennoch war sie froh– trotz der Übelkeit, die jetzt in ihr aufstieg–, dass sie diesem Verlangen nie nachgegeben hatte.
Das Bild der Stadt blieb gleich vor ihren Augen. Spuren des Todes, Chaos und Zerstörung allenthalben.
Aber es musste doch einen Grund dafür geben! So etwas geschah doch nicht einfach so! Bislang hatten sie vor allem versucht zu verstehen, was hier passiert war. Nun ging es Deilava um die mögliche oder tatsächliche Motivation der Angreifer.
Natürlich war es schwierig, nach etwas zu suchen, wovon man nicht wusste, was es sein konnte. Ihr selbst war dieses Handeln so fremd, dass sie es kaum verstehen konnte.
Die Angreifer kamen vollkommen überraschend , rekapitulierte Deilava erneut das Ergebnis ihrer Suche am Vortag. Aber Ke’leth war ihr Ziel. Sie haben die Bewohner besiegt und getötet, zusammengetrieben, wie Keibos es mit Vieh machen würden … Vieh …
Mit einem Mal fiel ihr auf, was fehlte. Weder Münzen noch Waffen oder Rüstungen– sondern sie hatten keine Tiere in der Stadt gefunden!
Deilava wusste, dass andere Völker Tiere hielten, für die verschiedensten Zwecke. Den Elfen war dies fremd; sie jagten, wenn sie Fleisch benötigten, aßen oder verarbeiteten ihre Beute und nutzten dabei jeden Teil des Tieres. Alles andere wäre respektlos gewesen. Keibos und Eleitam jagten auch, aber sie hielten auch ganze Herden von Tieren, von denen sie sich ernährten. Eigentlich sollte es in und um Ke’leth also viel Vieh geben. Doch gefunden hatten sie nichts.
Eine fiebrige Freude ergriff Besitz von Deilava. Zum ersten Mal, seit sie die Stadt betreten hatte, schien alles mehr Sinn zu ergeben. Noch war das Bild in ihrer Vorstellung nicht vollständig, aber es war ihr, als ob diese erste Erkenntnis ein Schritt in die richtige Richtung gewesen sei.
Jetzt, da sie danach suchte, fand Deilava auch mehr und mehr Spuren. Blutflecken, die sie für Zeugnisse von Massakern an Eleitam gehalten hatte, entpuppten sich als Folge wahrer Schlachtfeste. Hier und da entdeckte sie abgenagte Knochen, einige davon gesplittert, als habe jemand sie regelrecht zerbissen. Dazu Fellfetzen und Hufreste.
Die Angreifer hatten sämtliche Tiere verzehrt oder mitgenommen, aber sie schienen wenig Interesse an Leder und Horn gehabt zu haben. Vernünftige Wesen nutzten, so viel sie konnten. Andererseits hatte Deilava erlebt, wie selbst umsichtige Eleitam nicht umhinkonnten, eigentlich wertvolle Teile von Tieren zurückzulassen– eine Armee hatte nur selten Zeit, sich um mehr als nur die grundlegendste Versorgung zu kümmern.
Die Sonne hatte sich nun vom Horizont gelöst. Deilavas Abwesenheit war den anderen Elfen längst aufgefallen. Sie ahnte, dass sie nicht mehr viel Zeit hatte. Hastig folgte sie den Spuren, lief von Haus zu Haus, suchte nach weiteren Hinweisen.
Wieder und wieder fand sie Kammern, in denen die Eleitam ihre Nahrung aufbewahrt hatten, und entdeckte, dass vieles dort noch vorhanden war. Das erschien ihr wiederum seltsam und passte nicht zu ihren bisherigen Vermutungen. Keine Armee ließ gutes Essen zurück.
Dennoch führte sie ihr neu gewonnenes Wissen weiter durch die Stadt. Die Angreifer hatten die Tiere geschlachtet, wo sie sie gefunden hatten, und die Kadaver dann einfach so mitgenommen. Es war mehr eine
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