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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Oehri
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locken. Sie wird als Freiherrin von Bernburg auftreten. Die passende Visitenkarte
hat ihr Herr Krosick schon besorgt.«
    »Und ich?«
    Adele lehnte
sich vor. »Unterdessen fahren Sie und Albrecht von der anderen Seite des Hauses
mit einer Kutsche vor. Bis dahin werde ich diese Haushälterin von Ihrem Kommen unterrichtet
haben.«
    Julius nickte
verstehend. Der Minutenzeiger bewegte sich unbeirrt vorwärts.
    Der Zeichner
wurde nervös.
    »Bald Viertel
nach acht.«
    Immer wieder
wanderte sein Blick zu seiner Mercier.
    Sie gingen
den Verlauf der Aktion durch, bis draußen Pferdegetrappel zu hören war. Julius sprang
so unvermittelt auf, dass sein Stuhl umkippte. Mitfühlend fasste ihn Adele am Arm.
Ihre Berührung wirkte angenehm und er redete sich ein, es sei Filine, die ihn umfasst
hielt.
    Die Kutschen,
die Albrecht Krosick gemietet hatte, waren zwei bis auf ihren Farbanstrich identisch
ausse­hende Landauer. Der eine war hellbraun, während der andere, auf dessen Dach
ein drei Meter langes Vierkantholz mit abgerundeten Ecken geschnallt war, sich in
vollkommenem Schwarz präsentierte. Beide besaßen vier Sitze, ein klappbares Verdeck
und wurden von zwei Pferden gezogen. Der Fotograf sprang elegant vom Kutschbock
des vorderen Wagens und landete auf dem Gehsteig. Er rief einige Befehle, gab dem
Fahrer des hinteren Landauers ein Zeichen und hielt auf das Haus der Witwe zu.
    »Es wird
Zeit«, begrüßte er jovial seine Freunde. »Stellt euch vor, beim Kutschenverleih
gibt es neuerdings eine Absorptionskältemaschine. Gekühltes Bier zu jeder Tages-
und Nachtzeit! Das Paradies! Noch kurz ein aufmunterndes Schlückchen, dann kann
es losgehen. Julius, deine Sachen! In die hintere Kutsche damit! Du wirst den schwarzen
Landauer nehmen müssen.«
    Adele Bredow
und Amalia Losch, die im Türrahmen standen, machten ihm den Weg frei. Krosick stürmte
hinein, stolperte beinah über Bentheims Gepäck und kam wenig später mit zwei Berliner-Weiße-Bierkrügen
aus der Küche. Zu den Frauen gewandt meinte er: »Die Utensilien dabei? Visitenkarte,
Trauben? Dann los.«
    Er erreichte
seinen Freund, der schon dabei war, seinen Wäschebeutel unter dem Kutschbock zu
verstauen, packte ihn am Oberarm und zerrte ihn in die Kutsche. Hastig schloss er
den Verschlag, öffnete das Sichtfenster zum Kutscher und brüllte den Befehl zum
Aufbruch. Keuchend lehnte er sich zurück. Auf der Sitzbank gegenüber lagen mehrere
Flaschen Schankbier, versehen mit dem Etikett ›Berlinisches Weizenbier‹, dem Lieblingsgetränk
aller Preußen.
    Albrecht
reichte Julius einen der Krüge. Das Gefäß wog fast drei Pfund und fasste beinahe
zwei Liter.
    »Damit könnte
man einen erschlagen«, meinte der junge Zeichner. Als die Kutsche anrollte, hatte
die Aufregung endgültig von ihm Besitz ergriffen und sein ganzes Sinnen und Trachten
auf Filine gelenkt. Krosick öffnete die Bierflaschen und schenkte ein.
    »Zum Wohl,
Julius. Auf das Gelingen unseres Vorhabens!«
    »Prost!«
    »Ein Trinkspruch,
Julius! Reiner frischer Gerstensaft gibt Herzensmut und Muskelkraft. Wohl bekomm’s.«
    Sie stießen
an und tranken wortlos, während der Landauer über die Straßen holperte. Julius wischte
sich den Schaum von der Lippe, als er den Krug absetzte und aus dem Fenster starrte.
Eine ganze lange preußische Meile in wenigen Minuten, das war schnell wie der Wind,
und einen großen Teil der Strecke legten sie im Galopp zurück! Sie schaukelten über
eine Spree-Brücke, bald war das Schlagen einer Kirchturmuhr zu hören, bald das Geräusch
von Kutschen, in denen begütertere Herrschaften eine abendliche Vergnügungsfahrt
unternahmen.
    Was für
ein Glück, dachte Bentheim. Zwei Pferde unter tausend! Und ein Kutscher, der sein
Handwerk versteht!
    Wenig später
verlangsamte der Landauer seine Fahrt. Sie bogen in die Matthäikirchstraße ein,
vorbei an Lewalds Haus, und beschrieben einen Bogen um das Eckhaus am Ende, um in
die Parallelstraße zu gelangen. Beim Wenden konnte Krosick den zweiten Landauer
erblicken, der in Nähe der Pastorenwohnung hielt. Er klopfte mit der Faust ans Kutschendach,
worauf der Mann das Tempo drosselte.
    »Ist es
hier, die Herrschaften?«
    »Bei der
langen Ummauerung dort vorn«, rief ihm Krosick zu. »Auf Höhe der Linde halten Sie
an.«
    Die Kutsche
verlangsamte noch mehr, bis sie ganz zum Stehen kam. Die Straße war leidlich bevölkert
– ein Umstand, der Krosick nicht daran hinderte auszusteigen und in aller Gemütsruhe
das Vierkantholz an die Mauer zu

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