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Die dunkle Muse

Die dunkle Muse

Titel: Die dunkle Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Oehri
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sich in die
Stuhllehne.
    »Ich habe
mir sagen lassen, Sie seien ein talentierter Bursche«, entgegnete Johann von Jänert.
»Lernen Sie daraus, Bentheim. Lernen Sie und nehmen Sie sich auf gar keinen Fall
ein Beispiel an diesem vermaledeiten Theodor Görne! Noch mehr solcher Stümper und
wir könnten einpacken. Und nun lassen Sie uns hoffen, dass wenigstens die Geschworenen
von Gottes Strahl der Erkenntnis getroffen wurden.«
     
    Jeder Sitzplatz im Gerichtssaal
war besetzt. Es hatte den Anschein, als drängten sich doppelt oder gar dreifach
so viele Schaulustige auf den Plätzen, wie bequem unterzubringen waren. Als das
Richtergespann den Saal betrat, erhob sich das Publikum. Wie die drei Richter der
Unterwelt kamen sie den Anwesenden vor, die Herren Jänert, Polte und Lipinsky, die
sich mit finsterer Miene vor dem Angeklagten in Stellung brachten.
    Johann von
Jänert fuhr sich mit dem Mittelfinger in den Kragen seiner Robe und lockerte ihn.
Für einen kurzen Moment streifte sein Blick den von Julius Bentheim, dann sah er
auf die Uhr und nickte einen Gerichtsdiener heran.
    »Bringen
Sie die Geschworenen herein«, befahl er.
    An allen
Verhandlungstagen hatte eine dumpfe Spannung über dem Saal gelegen, schwer wie die
Schwüle des Sommers, und nun löste sie sich auf, als die Tür zum Geschworenenzimmer
aufgestoßen wurde und der Diener den zwölf Männern Platz machte, die das Urteil
über den Professor sprechen würden. Nachdem sie alle saßen, hob Jänert die Hand
und mahnte: »Ich ersuche die Anwesenden, die Urteilsverkündung nicht zu unterbrechen.
Nehmen Sie alle zur Kenntnis, dass ich den Saal räumen lassen werde, sollte ich
während der Amtshandlung die geringste Störung bemerken. Fahren Sie fort, Herr Gerichtsbeamter!«
    Der Mann,
mit dem Bentheim noch vor etwa einer Stunde gesprochen hatte, waltete stoisch seines
Amtes. Um sich Gehör zu verschaffen, hämmerte er mit einem Stock auf den Boden –
eine traditionelle Handlung, die völlig unnötig war – und sagte: »Mitglieder des
Geschworenenkollegs, haben Sie sich über ein Urteil einigen können? Und falls ja,
wer wird für Sie alle sprechen?«
    Ein korpulenter
Mann mit schweißnassem Stiernacken erhob sich. »Ich, Herr. Ich bin der Obmann.«
    »Wie lautet
Ihr Urteil?«
    Der Mann
tupfte mit einem Taschentuch die Stirn trocken, sah zu Botho Goltz hinüber, der
ihn freundlich anlächelte, und erklärte mit fester Stimme: »Wir haben den Angeklagten
für nicht schuldig befunden.«
    Lähmendes
Entsetzen legte sich über den Saal. Jänerts Hand war warnend erhoben, als ein kurzes,
unterdrücktes Seufzen vernommen wurde. Auf eine zustimmende Geste des Richters hin,
sprach der Diener rasch weiter: »Bestätigen Sie alle, Mitglieder des Geschworenenkollegs,
unter Eid, dass Sie den Angeklagten Herrn Professor Botho Goltz für nicht schuldig
des Totschlags erachten? Bestätigen Sie dies alle?«
    Feierlich
antworteten die Geschworenen: »Ja!«
    Jäh erwachte
der Gerichtssaal aus seiner Lethargie. Lärm schwoll an, ein paar Frauen brachen
in Tränen aus, während einige Männer mit drohend erhobenen Fäusten buhten. Bentheim
ließ den Blick über das Chaos schweifen, bis er ins Gesicht des Professors schaute;
eine siegessichere rote Fratze, die alles und jeden um ihn herum zu verspotten schien.

Fünfundzwanzigstes Kapitel
     
    Bis in die ersten Oktobertage
hinein waren sich im Berlin des Jahres 1865 die Menschen darüber einig, welches
Thema eine nie erschöpfende Quelle an Diskussionsstoff bot. Vor wenigen Monaten
noch hatte man auf den Straßen über den Sezessionskrieg gesprochen, über die Bestrafung
von Lincolns Mörder und über die Konföderierten Staaten von Amerika, die in den
letzten Zügen lagen. Kurzum: Man hatte das Augenmerk auf Übersee gerichtet. Bald
jedoch, als sich dort nichts Interessantes mehr abspielte, sprach man in den heißen
Sommertagen über Bismarck und die Schleswig-Frage – und nun, als der Herbst angebrochen
war, redete man nur mehr über Professor Botho Goltz.
    In den Tagen
nach der Urteilsverkündung hatte er sich rar gemacht. Die an dem Prozess beteiligten
Personen hielten sich zurück, was öffentliche Aussagen anbelangte, und niemand war
dazu zu bewegen, den sogenannten berechtigten Zweifeln, welche in den Geschworenen
aufgekommen waren, nachzugehen. Doch die Öffentlichkeit, die nach der Bestrafung
eines Täters heischte, ließ nicht locker. Es ging ein Rauschen durch den Blätterwald
und mehrere Zeitungen forderten lautstark

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