Die dunkle Muse
größeren Gruppen wurde lebhaft diskutiert,
Abgesandte der auflagenstärksten Berliner Zeitungen fielen wie eine gierige Meute
über jeden her, der ihrer Meinung nach etwas mit dem Fall zu tun haben mochte, und
die Gerichtsdiener hatten alle Hände voll zu tun, um ein wenig Ordnung in das Chaos
zu bringen.
Bentheim
setzte die Ellbogen ein, um sich durch die Leute zu drängeln. Er schwitzte, da ihn
der Ritt mitgenommen hatte, doch nun rann ihm der Schweiß erst recht aus allen Poren.
Das Kollegienhaus hatte sich in ein Dampfbad verwandelt. Klatschnasse Hemden, feuchte
und an der Haut klebende Kleidung ringsumher. Mit der Hand hielt er einen Gerichtsdiener
an; derselbe, der ihn am ersten Prozesstag in seine Arbeit als Gerichtszeichner
eingeweiht hatte.
»Zu Johann
von Jänert! Es ist dringend.«
»Sieh an,
der Bentheim. Falls Sie ein Porträt des Richters anfertigen wollen, sind Sie bei
ihm an der falschen Adresse. Unter uns gesagt, das ist ein bärbeißiger Hund.«
Er packte
ihn hart an der Schulter. »Sie verstehen nicht! Ich muss zu ihm! Sofort.« Mit dem
Finger deutete er auf seinen Hosenbund und hob für einen kurzen Moment das Hemd
hoch, damit der Diener einen Blick auf das Messer werfen konnte. »Die Tatwaffe«,
flüsterte der Zeichner.
»Herrje!
Im Ernst?«
Bentheim
nickte bedeutungsvoll.
Nun wurde
der Diener energisch. Wie ein erfahrener Steuermann auf hoher See kämpfte er sich
durch die Wogen der Anwesenden, fand einen Weg um die Klippen. Vor einer unscheinbaren
Tür, die in eines der Vorbereitungszimmer führte, blieb er stehen und schloss sie
auf.
»Mir nach.«
Bentheim
trat ein, und als die an der Innenseite mit Polsterungen versehene Tür ins Schloss
gefallen war, drang der Lärm von draußen nur noch als dumpfer Grundton zu ihnen.
Der Diener hieß ihn warten und verschwand durch eine weitere Tür. Wenige Minuten
später kam er zurück. »Er lässt bitten.«
Der junge
Zeichner wurde durch eine aus drei kleinen Räumen gebildete Zimmerflucht geführt,
von deren Ende aus sie das Richterzimmer betraten. Jänert saß an einem überladenen
Schreibtisch. Dokumente und Bücher stapelten sich nebeneinander, eine wirre Unordnung
sondergleichen. In einer Ecke stand eine Büste, auf welcher seine Perücke hing,
und Julius fiel auf, dass der Richter entgegen seiner ersten Vermutung beinah glatzköpfig
war. Auf einer Kommode an der anderen Wand prangte eine Standuhr mit gewaltigem
Pendel.
»Setzen
Sie sich, Herr Bentheim.«
Er deutete
auf einen Stuhl, auf welchem Julius Platz nahm, während der Richter selbst sich
an die vordere Schreibtischkante lehnte. Mit einem Bückling verabschiedete sich
der Diener und ließ die zwei Männer allein – den jungen mit dem alten.
»Sie haben
anscheinend etwas gefunden?«
»Nicht nur
anscheinend, Herr Vorsitzender.«
Jänert räusperte
sich. »Sie haben etwas gefunden, das anscheinend mit dem Fall Goltz zu tun hat?«
»Wie gesagt,
nicht nur anscheinend, Herr Vorsitzender. Es sind der Schlüssel zu Kulms Wohnung
und das Tatmesser.«
Grimmig
fuhr Jänert dazwischen: »Ich wiederhole mich nur ungern, Herr Studiosus: Sie haben
etwas gefunden, das anscheinend – haben Sie mich verstanden? – anscheinend etwas
mit dem Fall Goltz zu tun hat. Zeigen Sie her!«
Bentheims
Hände zitterten leicht, als er die Waffe mit der blutbefleckten Klinge und den Schlüssel
aus seinem Hosenbund zog und sie dem Richter übergab. Mit gleichgültiger Miene legte
Jänert die beiden Dinge hinter sich und wandte sich wieder dem Tatortzeichner zu.
»Was spukt
in Ihrem Kopf herum, Bentheim? Lassen Sie mich an Ihren Gedankengängen teilhaben.«
»Herr Richter,
ich verstehe nicht …«
»Herrgott!«,
fuhr der Alte auf. »Was, denken Sie, soll jetzt geschehen?« Er zeigte mit dem Finger
auf die Standuhr. »Tempus fugit, Bentheim. In wenigen Minuten ist Urteilsverkündung.
Die Geschworenen haben längst entschieden. Was glauben Sie denn, wer Sie sind? Der
Rächer in letzter Sekunde? Der Deus ex machina? Schwupps, der Bentheim ist da, er
ist im Besitz der Tatwaffe. Krempeln wir doch einfach die herrschenden Gesetze um,
setzen wir alles außer Kraft, was Preußen zum Rechtsstaat macht, nur damit ein offensichtlich
Schuldiger verurteilt wird …«
»Herr Richter,
ich …«
»Kommen
Sie mir nicht so! Die Plädoyers sind abgeschlossen, die Geschworenen haben getagt.
Lassen wir die Geschichte ihren Lauf nehmen.«
»Das soll
es gewesen sein?«, empörte sich Julius. Seine Fingerspitzen krallten
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