Die dunkle Prophezeiung des Pan
Tonfall war
plötzlich eisig und die Luft zum Schneiden.
»Entschuldigung«,
murmelte ich verlegen und senkte den Blick.
An
diesem Tag erfuhr ich so einiges über die Anderwelt und die
Schule. Elf – mit mir jetzt zwölf – Schüler
waren eine Menge. Es gab auch Zeiten, wo nur fünf oder sogar nur
drei Schüler auf Avalon unterrichtet wurden. Zwei würden
dieses Jahr ihre Abschlussprüfung machen, drei nächstes
Jahr und so weiter. Nicht jedes Jahr kam ein Schüler hinzu.
Elfen
hatten wesentlich mehr Einfluss auf das Leben der Menschen, als ich
je vermutet hätte. Es gab Unterricht in der Kunst des Bauens
(der schiefe Turm von Pisa sei ausschließlich von Menschen
gebaut worden, ohne den Rat des damaligen Elfenkonstrukteurs; der
hätte gewusst, dass das Fundament nicht stabil genug war). Zudem
gab es die Fächer Politik und Rhetorik. Mathematik, Englisch,
Literatur und dergleichen brachten die Schüler von der
Highschool beziehungsweise der Anderwelt mit. Elfen und Halbelfen mit
besagtem Können wurden im Fach Zeitsprünge unterrichtet.
Der Eintritt in die Schule Avalons war normalerweise erst ab vierzehn
möglich. Liam war aufgrund seiner familiären Situation eine
Ausnahme gewesen.
Lee
hatte mir mal erklärt, Elfenväter kümmerten sich immer
um ihre Kinder, deswegen war es seltsam, dass Liam die ersten acht
Jahre unter diesen Umständen bei seiner Mutter aufgewachsen war.
Aber ich traute mich nicht ihn danach zu fragen. Nicht auf seine
Reaktion hin.
Der
Merlin hatte mich noch nicht zu besagtem Gespräch gebeten und
ich war auch nicht sicher, ob ich darum bitten durfte oder ihn lieber
meiden sollte. Ich sah ihn nur bei den gemeinsamen Mahlzeiten.
Das
Essen war tatsächlich eher spartanisch. Der Körper sollte
entgiften und entgiftet bleiben, erklärte mir der Elf Brian, als
ich den Wunsch nach Marmelade äußerte. Was war an
Marmelade falsch? Sie enthielt Früchte, oder? Mit einem
Schokoaufstrich brauchte ich dann wohl erst recht nicht zu rechnen.
Am
dritten Abend auf Avalon fand ich endlich Zeit, in der Bibliothek das
Buch der Prophezeiung zu durchstöbern. Shannon hatte sich einen
Agententhriller von John le Carré geliehen und war auf ihr
Zimmer gegangen. Dylan und Farion saßen über einem Aufsatz
über die Weltwirtschaftskrise von 2008.
Alle
anderen hatten sich im Fernsehzimmer versammelt. Ich war sehr
überrascht gewesen, als Liam und Fynn mich am gestrigen Abend
dorthin mitgenommen hatten. Es gab ein Fernsehzimmer! Offiziell
natürlich nur, um sämtliche Nachrichtensender weltweit zu
verfolgen, inoffiziell sahen sich die Schüler auf Avalon genauso
das Finale von Top
of the Pops an
wie die Studenten am Horton College. Nur gab es hier anstatt Chips
Möhren- und Kohlrabisticks sowie Quellwasser aus dem Brunnen,
der mich auf dem Hinweg nassgespritzt hatte. Die Stimmung war
allerdings die gleiche wie bei Jaydens Karaoke-Party.
Ich
lächelte in Gedanken daran, als ich das glorreiche Buch der
Prophezeiung aufschlug. Es war gar nicht so einfach zu lesen. Manche
Abschnitte waren in Runen verfasst, manche auf Latein. Es gab auch
gemalte Bilder und einmal entdeckte ich, dass sich eine Zeile
umschrieb. Die alte Tinte verblasste und dann, als wäre ein
unsichtbarer Füller am Werk, erschienen die neuen Buchstaben.
Erst blass, dann immer schwärzer. Leider konnte ich die Änderung
nicht lesen, denn sie bestand aus lauter Strichen, gebündelt und
schräg oder gerade. Wo hatte ich so etwas Ähnliches schon
einmal gesehen? Diese Striche waren mir irgendwie vertraut.
Etwas
huschte an mir vorbei. Ich konnte es aus den Augenwinkeln erkennen.
Ich sah auf und stellte fest, dass die Bibliothek leer war. Alle
anderen waren gegangen. Ich beugte mich wieder über das Buch.
Aus den Augenwinkeln bemerkte ich ein Flackern. Ich tippte gegen die
Lampe. Hell, kein Flackern, beständig. Ich widmete mich wieder
der Lektüre.
Dann
huschte es erneut. Wer sagte, dass es hier nicht spukte? Immerhin war
ich auf Avalon, einer Insel, die es angeblich nicht gab und die
voller Mythen war. Ich blickte noch einmal zur Wand. Nichts. Nur mein
Schatten. Langsam senkte ich den Blick, hielt aber die Augenwinkel
noch immer auf die Steine gerichtet.
Da!
Dieses Mal war ich mir sicher. Ich war nicht allein. Vorsichtig, ohne
den Kopf weiter zu heben, tastete ich nach dem Anspitzmesser vor mir.
Da, schon wieder! Ich griff zu, packte etwas Schweres, Rundes –
Mist, nicht das Messer – und warf.
Der
Briefbeschwerer zerschellte an den grauen
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