Die dunkle Seite der Dinge
den Tag begrüßt, an
dem sie das Flüchtlingslager verlassen konnte. Aber es stimmte
sie traurig, dass sie Mahima zurück lassen musste. Jans Tod
hatte die fröhliche Krankenschwester zu einem Schatten ihrer
selbst gemacht. Sie hatte sich vollkommen in sich zurück gezogen
und jeden von sich gestoßen, der sich ihr näherte. Auch
Betty war es nicht gelungen, zu ihr durchzudringen. Das hatte sie
sehr verletzt. Nun hielt sie das Tagebuch in der Hand und die Dinge
fügten sich ineinander.
Sie setzte sich auf ihr Bett und
schlug die erste Seite auf. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie
Jans charakteristisch gestochene Schrift erkannte. Dann versank sie
in den Notizen.
Franziska schlich durch die
langen Flure des herrschaftlichen Hauses. Irgendwann hatte sie die
Orientierung verloren und war in einen abgelegen Trakt des Gebäudes
gelangt. Eher zufällig entdeckte sie eine Hintertür, die in
den parkähnlichen Garten führte. Ungesehen schlüpfte
sie hindurch. In der Dunkelheit stolperte sie über einen
Randstein und schlug der Länge nach hin. Nur mit Mühe
unterdrückte sie einen Schmerzensschrei. Sie rappelte sich auf
und rieb die brennenden Hände an ihrer Hose. Dann sah sie sich
um. In einiger Entfernung wiesen ihr die hell erleuchteten Fenster
den Weg.
Sie war erst wenige Meter weit
gekommen, als ein Knacken im Unterholz sie zusammen fahren ließ.
Angestrengt lauschte sie in die Nacht hinein. Wahrscheinlich hatte
sie einen Igel bei seinem nächtlichen Streifzug aufgeschreckt.
Geduckt lief sie voran und entfernte sich so immer weiter vom Haus.
Dann sah sie es! Ein heller Fleck
schimmerte durch das Laub. Sie zitterte, als sie näher heran
trat und in das von Harz zerstörte Gesicht des Engels schaute.
„Oh Mike, was geschieht hier nur?“, betete sie zu ihrem
toten Bruder. Eine Stimme in ihr schrie, umzukehren, doch sie
verschloss ihre Ohren und drang immer tiefer in den verwilderten
Garten ein.
Schließlich gelangte sie zu
einem massiven Erdhügel. In der Dunkelheit ähnelte er
einem gestrandeten Wal. Sie schaute zurück. Die erleuchteten
Fenster waren längst aus ihrem Blickfeld verschwunden.
Vorsichtig begann sie, die Erhebung zu umrunden, als plötzlich
der Boden unter ihren Füßen nachgab. Erschrocken schrie
sie auf. Ihre Hände suchten verzweifelt nach Halt, bekamen aber
nur loses Erdreich zu fassen. Hart schlug ihr Körper auf dem
Steinboden auf. Sie keuchte, sprang aber sofort wieder auf die Füße
und befühlte ihre Arme und Beine. Sie hatte Glück gehabt
und der Sturz war glimpflich ausgegangen. Franziska hob den Kopf und
sah sich von massiven Wänden umgeben. Sie schauderte. War sie
etwa ihrem Bruder ins Grab gefolgt? Dann erst sah sie die Stufen, die
zu ihr hinab führten. Hastig begann sie, die Treppe zu
erklimmen, doch im nächsten Moment verstand sie, dass die Stufen
zu etwas hin führen mussten. Verwundert drehte sie sich um und
erst da sah sie die Tür, die in den Hügel eingelassen war.
Wo hatte sie diese Art der Architektur schon einmal gesehen?
Franziska spürte der vagen Erinnerung nach. Dann fiel es ihr
ein. Sie hatte den Eingang eines alten Bunkers entdeckt. Schnell lief
sie die Stufen wieder hinab und rüttelte an der Tür. Zu
ihrer Verwunderung gab das schwere Metall ihrem Drängen nach.
„ Hallo?“, wisperte
Franziska in den dunklen Raum hinein. Die Antwort war Schweigen.
„Hallo!“, rief sie nun etwas lauter, dann schlüpfte
sie durch den Türspalt hindurch und verschwand unter dem Hügel.
Kapitel 22
Thorsten rieb sich die Hände
und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Vor wenigen Minuten
hatte Franziska Stein angerufen. Bestimmt lief etwas zwischen seinem
Chef und dieser Ärztin. Nur so konnte er sich erklären,
dass sich Wellinger von dieser Kuh herumkommandieren ließ.
Attraktiv war sie ja, das musste er ihr lassen, aber die Stein war
arrogant und außerdem hatte sie ihn vor versammelter Mannschaft
bloßgestellt. Den Fausthieb, den sie ihm verpasst hatte, würde
er ihr nicht verzeihen und gerade bot sich die Gelegenheit, die
Schlampe in ihre Schranken zu weisen. Noch nicht einmal gegrüßt
hatte sie ihn, als er das Telefonat entgegengenommen hatte, sondern
sofort verlangt, mit Carsten zu sprechen. Thorstens erfahrenes Ohr
hatte die Hilflosigkeit in ihrer Stimme sofort aufgespürt. Er
hatte es genossen, der arroganten Kuh zu zeigen, wie das Spiel lief.
Ohne ein weiteres Wort hatte er sie mitten im Satz abgewürgt und
das Gespräch beendet. „Ja“, grinste er
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